Der Vorbereitungsprozess einer Inverted Classroom-Einheit

Nach längerer Blogpause melde ich mich wieder zum Dienst. Ich habe vor zwei Wochen eine wichtige Arbeit eingereicht und musste dafür die nicht absolut essentiellen Aufgaben aufschieben – so auch das Bloggen. Jetzt, wo sich das Semesterende schon ankündigt, muss ich aber wieder einstiegen, denn ich habe noch so viel, was ich gerne über das Projekt schreiben möchte.

Da ich kürzlich mit einem Kollegen über die konkrete Umsetzung des Inverted Classroom-Modells gesprochen habe, möchte ich das heute zum Thema machen und Euch einen Blick hinter die Bühne ermöglichen. Wie sieht die Vorbereitung einer Lerneinheit in unserer Vorlesung aus?

Zwei Vorbemerkungen: 1) Wir invertieren die ganze Veranstaltung auf einmal, weil wir wegen der großzügigen Mittelausstattung durch den Stifterverband die dafür nötigen Personalressourcen haben (mehr dazu unten). 2) Wir produzieren das Material parallel zum laufenden Betrieb. Auf diese Weise konnten wir unsere Ziele und Prozesse an die Erfahrungen und die Rückmeldungen anpassen, die wir im Semesterverlauf erhalten haben.

Grundsätzlich unterscheiden wir die Vorbereitungsphase und die Präsenzphase, die wir in zwei aufeinander aufbauenden Schritten konzipieren. Wir beginnen die Arbeit zwei Wochen vor der entsprechenden Präsenzsitzung („T minus 14“, wie das bei Countdowns so heißt).

Nach einer freitäglichen Vorlesungssitzung lasse ich im Anschluss die abgelaufene Sitzung nochmal Revue passieren und gehe dann zu der zu planenden Einheit über. Ganz zu Beginn des Semesters haben wir für alle 13 thematischen Lerneinheiten Lehr-/Lernergebnisse definiert. Die hole ich wieder vor und überlege mir zunächst, welche dieser Lernergebnisse die Studierenden eigenständig erreichen können – diese sind dann die Orientierung für die Vorbereitungsphase. Die anspruchsvolleren Lernergebnisse, die besser in der Interaktion untereinander und mir erzielt werden können, verfolge ich lieber in der Präsenzphase. Aus den Lernergebnissen entwerfe ich ein grobes Konzept für die Vorbereitungsphase, d.h. welche Videos und Texte als Vorbereitungsmaterial dienen können und mit welchen Übungsaufgaben die Studierenden ihr Verständnis überprüfen bzw. die entsprechenden Lernergebnisse erzielen können.

Am folgenden Montag (T – 10) bekommt die Projektmitarbeiterin meine skizzenhaften Überlegungen und stellt daraus eine kohärente Lerneinheit zusammen. Dafür prüft sie, welche Video- und Textausschnitte essenziell sind, um den Input so knapp wie möglich zu halten, formuliert die Übungsaufgaben und recherchiert zusätzliches Material, um z.B. aktuelle politische Themen in die Einheit einzubringen.

Am Dienstag (T – 9) lese und kommentiere ich den Entwurf, ggf. wird er nochmal in ein paar Details überarbeitet. Am Mittwoch (T – 8) ist immer unser Teamtreffen, bei dem wir letzte Unklarheiten klären. Danach implementiert die Projekthilfskraft die Aufgaben in Moodle, schneidet Videos zusammen und lädt Texte hoch, damit alles bis Freitag fertig ist und die Studierenden die neue Lerneinheit beginnen können.

Am Freitag (T – 7) überlege ich mir, wie die Präsenzphase gestaltet werden soll. Dazu prüfe ich nochmal, von welchen Vorkenntnisse der Studierenden ich ausgehe, und überlege, mit welchen didaktischen Mitteln und mit welchen Themen ich die verbleibenden Lernergebnisse anstreben möchte. Inzwischen haben wir da ein kleines Repertoire an aktivierenden Methoden angesammelt, die ich je nach Bedarf einsetzen kann.

Wiederum schicke ich meine Vorstellungen an das Team, das bis Dienstag (T – 3) die notwendigen Folien erstellt, zusätzliche Videos sucht (meist kurze Medienberichte) und Texte für Gruppenarbeiten sucht. Auch hier besprechen wir die Vorarbeiten bei unserem mittwöchlichen Treffen (T – 2). Danach wertet die Projekthilfskraft den Rücklauf auf die Vorbereitungsaufgaben aus, identifiziert mögliche Verständnisprobleme und gibt den Studierenden ein Feedback auf Freitextantworten.

Am Donnerstag (T – 1) findet der letzte Vorbereitungsschritt statt. Auf der Grundlage des Rücklaufs entscheide ich, welche Themen zu Vorlesungsbeginn nochmal angesprochen werden sollte („Just-in-Time-Teaching“). Danach gehe ich den Veranstaltungsablauf nochmal durch und mache letzte Änderungen. Meistens fällt mir dann auf, dass einzelne Elemente in anderer Reihenfolge besser funktionieren, oder ich notiere mir Parallelen zu anderen Lerneinheiten, die ich hervorheben möchte.

Und dann, am Freitag geht es in den Hörsaal. (Lift-Off!)

Den scharfsinnigen Leser_innen wird aufgefallen sein, dass wir immer zwei Prozesse parallel laufen haben, d.h. wir bereiten gleichzeitig eine Vorbereitungsphase und eine Präsenzphase vor. Wegen des tollen Teams klappt das aber sehr gut und mittlerweile haben wir eine effiziente Routine.

Es wird aber auch deutlich, dass der Arbeitsaufwand – von der Konzeption über die Planung bis zur eigentlichen Sitzung – nicht zu unterschätzen ist. Dabei sparen wir sogar einigen Aufwand, weil ich dieses Semester keine neuen Videos oder Screencasts aufnehme und mich stattdessen bei den Aufnahmen aus dem Vorjahr bediene, als ich die Vorlesung noch „klassisch“ gegeben habe. Käme das hinzu, würde der Aufwand nochmal deutlich ansteigen. Insofern funktioniert das Projekt nur deshalb auf die oben beschriebene Weise, weil ich auf eine großzügige Förderung des Stifterverbands zurückgreifen kann.

Bedeutet das, dass man sich ohne Extramittel nicht an den Inverted Classroom heranwagen sollte? Nein! Mit kluger Planung und realistischen Zielen kann man trotzdem viel erreichen kann. Zum Beispiel muss man nicht alles auf einmal machen – man kann ja im ersten Durchlauf nur einzelne Sitzungen invertieren, um die Methode mal auszuprobieren. Oder man baut seine Videobibliothek schrittweise auf, oder sucht sich interessantes Material anderweitig zusammen. Wir machen jetzt die komplette Inversion auf einmal und nach hohen Best Practice-Standards, gerade weil wir die Ressourcen dafür haben – andere Wege sind aber genauso zielführend.

Ein Tipp für prospektive Nutzer_innen, die das schrittweise angehen wollen: Zunächst erstmal die Vorlesung traditionell halten und alle Sitzungen aufzeichnen lassen. Das macht bei uns das Medienzentrum der Universität und war für mich absolut unaufwändig. Wenn man diese Ressourcen einmal hat, kann man beim nächsten Durchlauf eine oder zwei Sitzungen komplett invertieren, um die Methode für sich und die Studierenden zu testen. Wenn das funktioniert, kann man es danach mehr und mehr ausweiten.

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