Der Inverted Classroom

Daniel Lambach/Caroline Kärger, Universität Duisburg-Essen

Ein Studium der Politikwissenschaft soll Studierende befähigen, wissenschaftlich-methodisch zu arbeiten, soziale Probleme zu analysieren sowie Argumente zu entwickeln, zu vergleichen und zu kritisieren. In der klassischen Taxonomie der Lernziele zählen diese Kompetenzen zu den anspruchsvolleren, über die reine Reproduktion von Wissen hinausgehenden, Stufen. Die Lehr-Lern-Forschung hat klar gezeigt, dass diese Fähigkeiten nicht durch die passive Rezeption von Wissen, sondern nur durch dessen eigenständige Erschließung durch aktive Lernformen zu erlangen sind.

Aktive Lernformen sind im Kontext von Vorlesungen nur schwer umzusetzen. Vorlesungen sind jedoch ein traditionsreiches und aus kapazitären Gründen weit verbreitetes Lehrformat. Dies gilt auch für die Politikwissenschaft, insbesondere in Bachelor- und Lehramtsstudiengängen, die an vielen Hochschulen zu den Massenfächern gehören. Für die Ausbildung höherwertiger Kompetenzen sind dies keine guten Voraussetzungen. Für eine Aktivierung der Studierenden ist daher eine Umgestaltung des klassischen Vorlesungsformats notwendig, indem man in der Lehrveranstaltung Räume zum eigenständigen, angeleiteten Arbeiten, Denken und Diskutieren schafft.

Dies haben wir in einer Einführungsvorlesung in die Internationalen Beziehungen (IB) versucht, die wir in den Wintersemestern 2014/15 und 2015/16 an der Universität Duisburg-Essen für Studierende des BA Politikwissenschaft abgehalten haben. Dabei orientierten wir uns am Modell des Inverted Classroom (oder Flipped Classroom). Dabei wird die passive Rezeption von Lerninhalten aus dem Unterricht in die Vorbereitungsphase verlagert. Die Präsenzphase ist damit frei für aktivierende Lehrmethoden zur Anwendung des erworbenen Wissens sowie zur Vertiefung des Materials und zur Klärung von Fragen. Dabei wird der Lernraum dahingehend „umgedreht“, dass der Dozent nicht mehr das Wissen ex cathedra vermittelt, sondern vielmehr den Studierenden bei ihren individuellen Lern- und Sinngebungsprozessen zur Seite steht. Die Wirksamkeit des Inverted Classroom, der bislang überwiegend in den Natur- und Wirtschaftswissenschaften angewendet wird, ist bereits in einer Reihe von Studien belegt worden.

In der Vorbereitungsphase haben wir den Studierenden über die elektronische Lernplattform Moodle Videos mit kurzen Vorträgen (max. 15 Minuten) und Texte bereit gestellt, die durch Lernkontrollübungen ergänzt wurden, um den Studierenden ein sofortiges Feedback zu ihrem Verständnisgrad zu geben. Diese Materialien dienten zumeist der Vermittlung grundsätzlicher Wissensbestände.

Die wöchentliche, zweistündige Präsenzphase baute auf diesem Vorwissen auf. Hier stand häufig eine größere Aktivität im Zentrum, die meist als Einzel-, Paar- oder Gruppenarbeit, als Simulation oder als Plenardiskussion strukturiert war. Zum Beispiel hatten die Studierenden in einer Einheit über liberale Theorien der IB die Aufgabe, Hypothesen zur Erklärung des „empirischen Doppelbefundes“ des Demokratischen Friedens (DF) zu entwickeln. Den Studierenden gelang es dabei ohne Vorkenntnisse der DF-Literatur in einem strukturierten Gruppenarbeitsprozess, innerhalb von 30 Minuten nahezu alle Erklärungen zu entwickeln, die in der Literatur diskutiert werden.

Aus Lehrendensicht war dies ein sehr erfreuliches Ergebnis. Über die Wirksamkeit des Inverted Classroom können wir leider keine gesicherten Aussagen treffen, da die Studierenden eine Modulprüfung ablegten, die die Themen aus der Vorlesung mit einem Seminar zur Friedens- und Konfliktforschung kombinierte. Veränderungen der Prüfungsleistungen können daher nicht zweifelsfrei auf die veränderte Didaktik zurückgeführt werden.

Umso interessanter war der Umgang der Studierenden mit dieser Methode. Für die Studierenden bedeutete der Inverted Classroom einen sichtbaren Mehraufwand, der sich gleichwohl im Rahmen der Kreditierung bewegte. Insgesamt bestand eine große Akzeptanz gegenüber diesem didaktischen Modell. Zur Frage, ob auch künftige Vorlesungen in dieser Weise „umgekehrt“ werden sollten, waren die Studierenden jedoch unterschiedlicher Meinung. Während in der Abschlussbefragung 45% der Studierenden sagten, sie würden diesem Vorschlag zustimmen oder eher zustimmen, lehnten ihn 40% mehr oder weniger ab. Den Gründen für diese unterschiedlichen Reaktionen versuchen wir derzeit durch eine genauere Auswertung der Befragung nachzugehen.

Auch für uns als Lehrende ergab die Umstellung auf einen Inverted Classroom eine interessantere und dynamischere Lehrveranstaltung. Allerdings bedeutete die komplette Umkehrung der Veranstaltung auch einen deutlichen Aufwand, den wir nur aufgrund der Unterstützung des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft leisten konnten. Ohne zusätzliche Personalressourcen würden wir zunächst zu einer teilweisen Umkehrung raten, bei der lediglich 2-3 Sitzungen als Inverted Classroom organisiert werden. Auf diese Weise kann man die Methode zunächst erproben und ihre Möglichkeiten ausloten, ehe man den Sprung hin zum kompletten Inverted Classroom wagt.

Unsere Veröffentlichungen zum Thema:

Lambach, Daniel; Kärger, Caroline; Goerres, Achim (2016): Inverting the Large Lecture Class: Active Learning in an Introductory International Relations Course.

Kärger, Caroline; Lambach, Daniel (2016): Der Inverted Classroom in der Politikwissenschaft: Evaluation einer Einführungsveranstaltung in die Internationalen Beziehungen. In: Großkurth, Eva-Marie; Handke, Jürgen (Hg.): Inverted Classroom and Beyond: Lehren und Lernen im 21. Jahrhundert. Tagungsband zur 4. ICM-Konferenz an der Philipps-Universität Marburg. Marburg: Tectum, 69-83.

Goerres, Achim; Kärger, Caroline; Lambach, Daniel (2015): Aktives Lernen in der Massenveranstaltung: Flipped-Classroom-Lehre als Alternative zur klassischen Vorlesung in der Politikwissenschaft. In: Zeitschrift für Politikwissenschaft 25:1, 135-152.

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