Alle Erfahrungsberichte von Lehrenden, die den Inverted Classroom verwenden, betonen denselben Punkt: Kommunikation, Kommunikation und nochmals Kommunikation! Schüler_innen und Student_innen – oft an Frontalunterricht gewöhnt – begegnen dieser Didaktik meist erstmal zurückhaltend, wenn nicht gar ablehnend. Deshalb ist es wichtig, die Logik des Inverted Classroom gleich zu Beginn der Lehrveranstaltung zu erläutern und dies im Verlauf des Semesters immer wieder zu unterstreichen.
Dabei ist es besser, die Vorteile zu demonstrieren als sie bloß aufzuzählen. Gary Smith berichtet im National Teaching & Learning Forum von einer schönen Übung, die die Studierenden bei ihren eigenen Ansprüchen packt: Er fragt sie in der ersten Sitzung, ob sie 1) Fakten lernen, 2) Wissen auf neue Situationen anwenden oder 3) das Lernen lernen möchten. Erwartungsgemäß entscheiden sich fast alle Studierenden für die Optionen 2 oder 3. Danach fragt er sie, welche dieser Fähigkeiten sie eher alleine entwickeln können und für welche die Interaktion mit Lehrenden und ihren Kommiliton_innen hilfreich ist. Hier sagen die meisten Student_innen, dass sie Fakten alleine lernen können, die anspruchsvolleren Fähigkeiten aber besser in der Gruppe und mit Begleitung durch eine Lehrperson geschehen – quasi eine Steilvorlage für den Inverted Classroom.
Eine ganz ähnliche Methode hat Robert Talbert eingesetzt, der seine Student_innen fragt, was die fünf wichtigsten Fähigkeiten sind, die sie in ihrem Leben gelernt haben. Typische Antworten sind hier Dinge wie Laufen, Essen, Sprechen oder Lesen. Danach fragt er sie, wie viele dieser Fähigkeiten sie dadurch gelernt haben, indem sie einer längeren Vorlesung zugehört hatten. Auch hier wird den Student_innen klar, dass sie ihre wichtigsten Fähigkeiten nahezu vollständig durch Einübung gelernt haben.
Insofern hat die Einführungssitzung auch für unsere Veranstaltung eine große Bedeutung. Student_innen, die „Internationale Beziehungen und Global Governance“ besuchen, sind meist im dritten oder fünften Fachsemester und haben bis dahin knapp die Hälfte ihrer Lehrveranstaltungen im Vorlesungsformat gehabt. Meine Kolleg_innen am Institut für Politikwissenschaft sind beileibe keine didaktischen Dinosaurier, die in Vorlesungen aus ihren Lehrbüchern vorlesen – viele setzen auch dort interaktive Elemente ein, die die Zuhörer_innen zum Nachdenken anregen sollen. Dennoch ist der Frontalanteil immer noch sehr hoch. Die Student_innen sind es gewöhnt, das Wissen von ihren Professor_innen vorgesetzt zu bekommen.
Aus dieser Konsumentenhaltung müssen wir sie vom ersten Augenblick an herausholen. Wenn die Student_innen den Hörsaal verlassen, müssen Sie eine klare Vorstellung haben, wie die Veranstaltung laufen wird und welche Aufgaben und Erwartungen sie zu erfüllen haben. Gleichzeitig dürfen wir den Innovationsgehalt und die Radikalität des Wandels nicht übertreiben, damit niemand den Eindruck hat, er oder sie werde hier einem Experiment ausgesetzt. (Diesen Eindruck erzeugen wir schon genügend dadurch, dass wir die Studierenden während des Semesters mehrmals befragen, um ihre Einstellung zur Lehrmethode, ihre Lernstrategien u.ä. ermitteln.)
Zu tun gibt es sehr viel: Erstens müssen wir das didaktische Modell vorstellen (aber: Show, Don’t Tell – siehe oben). Zweitens müssen wir die Benutzung unseres elektronischen Abstimmungssystems PINGO demonstrieren. Drittens findet als kognitive Rahmung eine kurze Abfrage statt, welche aktuellen Themen der Internationalen Beziehungen den Studierenden bekannt sind. Viertens leiten wir davon auf die Inhalte der Veranstaltung über und geben Informationen zum Ablauf sowie zur Prüfung. Fünftens möchten wir auch schon erste Konzepte etablieren und lassen deshalb die Studierenden in Kleingruppen über Definitionen zentraler Begriffe (Was ist Außenpolitik?) beraten. Die Ergebnisse sammeln wir erneut über PINGO und gleichen diese mit Definitionen aus der Literatur ab. Und sechstens müssen wir den Student_innen klare Anweisungen mitgeben, wie sie sich auf die nächste Präsenzsitzung vorbereiten sollen. Deshalb planen wir momentan nicht nur die Einführungssitzung, sondern auch schon die zweite Lerneinheit, die in der folgenden Woche abläuft.
Ich bin wirklich gespannt, wie die Student_innen auf diesen Ansatz reagieren. Am Freitag werden wir es sehen.