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Erste Jahrestagung „Stand und Perspektiven politikwissenschaftlicher Hochschullehre“

Die Tagung fand am 25. und 26. Februar 2016 im ehemaligen kurfürstlichen Residenzschloss, dem Hauptgebäude der Universität Bonn statt. Mehr als 40 TeilnehmerInnen aus allen politikwissenschaftlichen Fachrichtungen und von Instituten aus dem ganzen Bundesgebiet fanden sich zusammen, um zwei Tage intensiv über aktuelle Entwicklungen in der Hochschullehre zu diskutieren und Erfahrungen über neue und alte Lehr- und Lernmethoden auszutauschen.

Nach einem Begrüßungsimbiss startete die Tagung am Donnerstag mit einem Panel zu verschiedenen Lehr- und Lernszenarien. Robert Lohmann (Passau) berichtete zuerst von einem Planspiel zur Dublin-III Verordnung, mithilfe dessen Studierende die wesentlichen Funktionsweisen der Europäischen Union kennenlernen sollten. Dabei standen praktische Fragen der Durchführung sowie die Evaluation des Lernfortschrittes im Vordergrund. Daran anschließend stellte Lukas Zech (ebenfalls Passau) das Projekt „Integration3“ vor, das im kommenden Sommersemester anlaufen wird, und in dem Studierende politische Bildungsprogramme für Flüchtlinge erarbeiten, anwenden und evaluieren. Interessanterweise soll dieses blended-learning-Konzept, in dem sich Online- und Präsenzphasen abwechseln und ergänzen, zukünftig als standardisierte Einheit in diverse Seminare eingebettet werden können. Hierzu wird u.a. über eine Kooperation mit Anbietern von Integrationskursen nachgedacht. Den Abschluss des Panels bildete der Vortrag von Nils Arne Brockmann (Hagen) über praktische Erfahrungen mit „seamless-learning“, vor allem mithilfe der Plattform Adobe Connect, im Rahmen eines Online-Seminars zur Politikfeldanalyse. Dazu gehörte beispielsweise die Arbeitsanweisung, „Schnappschüsse“ aus dem Alltag (Beobachtungen, Bilder), die einen Bezug zum Seminarkontext aufweisen, zu teilen und gegenseitig zu kommentieren, was zu sehr vielen Studierendenbeiträgen auf der Plattform führte. Ohne konkrete Arbeitsanweisung, zum Beispiel auf optionalen Foren, sei hingegen kaum Interaktion zustandegekommen. In der Diskussion wurde unter anderem der Aspekt der Anleitung der Studierenden in diesen und vergleichbaren Onlinekontexten wieder aufgegrifffen und dabei die Balance zwischen Strukturierung und Freiheit problematisiert. Ein anderer Schwerpunkt der Diskussion bestand in kritischen Nachfragen zur Methodik der Evaluation (Einsatz von Kontrollgruppen, Gesprächsführung).

Das zweite Panel befasste sich halb fragend, halb fordernd mit dem Thema „Gute Lehre?!“. Dagmar Schulze (Bonn) erläuterte konventionelle und unkonventionelle Methoden zur Förderung des wissenschaftlichen Schreibens. Zu letzteren gehörte beispielsweise die Aufgabe, Nonsense-Themen vorzuschlagen, um dadurch typische Probleme der Themenfindung und des Zuschnitts von Hausarbeiten zu ironisieren und humorvoll in der Gruppe besprechen zu können. Susanne Schwarz vom Zentrum für Schlüsselkompetenzen und forschendes Lehren der Europa Universität Viandrina Frankfurt/Oder plädierte im Anschluss für die Methode des Peer-Feedbacks auf Hausarbeiten. Von Vorteil sei unter anderem, dass die Studierenden beim Schreiben einen klaren Adressaten vor Augen hätten und dadurch motivierter seien, dass ihnen das Feedback schon im Schreibprozess zugute komme und dass sowohl Feedbackempfänger als auch -geber profitieren würden. Noch einmal ganz anders näherte sich Manuel Becker (Bonn) dem Thema, indem er eingangs auf die Unmöglichkeit hinwies, gute Lehre in einer griffigen Formel zu definieren und dann von einem „Orientierungstag“ der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn berichtete, der eine Verständigung über genau diese komplexe Frage fördern möchte. Auch wenn, wie Becker bemerkte, die Aufhebung der Anwesenheitspflicht über den Gesprächen „schwebte“, wurde doch deutlich, wie facettenreich „gute Lehre“ sein kann und wie groß der Gesprächsbedarf darüber ist. Entsprechend werde der Prozess nun in Arbeitsgruppen zu zahlreichen Einzelthemen fortgeführt und intensiviert. In der anschließenden Diskussion wurde die Offenheit dieses Prozesses einerseits gelobt, andererseits aber gefragt, welche konkreten Änderungen sich daraus ergeben sollten. Auch die unausgewogene Beteiligung der verschiedenen Statusgruppen kam zur Sprache. In Bezug auf Peer-Feedback wurden die Voraussetzungen kritisch hinterfragt, zum Beispiel wie Mindeststandards in diesem dezentralen Verfahren gewährleistet werden könnten und wie sich der unterschiedliche kulturelle Hintergrund der Studierenden auswirke. Lebhaft wurde zudem über die Gründe dafür diskutiert, dass viele Studierende darauf verzichten, Feedback von den Dozierenden einzuholen.

Die Postersession im Foyer des Hörsaales, bei der insgesamt fünf Projekte visualisiert wurden, bildete den inhaltlichen Abschluss des ersten Tagungstages. Bei Suppen und diversen Snacks konnten die TeilnehmerInnen von Poster zu Poster schlendern, Fragen stellen und sich inspirieren lassen. Eine Gruppe Frankfurter Kollegen/innen (Maria Theresa Meßner, May Jehle, Tim Engartner) griff mit ihrem Poster das Planspiel als didaktische Methode auf. Volker Best (Bonn) visualisierte die Struktur eines Debattenseminars zum Thema Demokratiereform, das er schon mehrmals durchgeführt hat. Ebenfalls mit einem Fokus auf Demokratie, diesmal aber im Sinne der Demokratieerziehung, konkretisierte das Poster von Daniel Lambach die Vorzüge des aktiven Lernens. Julia Reuschenbach veranschaulichte demgegenüber die Konzeption des neuen Weiterbildungsmasters Politisch-Historische Studien an der Universität Bonn. Schließlich verwies die Darstellung von Kai-Uwe Schnapp (Hamburg) zum Projektbüro Angewandte Sozialforschung bereits auf den Workshop am Folgetag. Erst aber stand ein angemessener Ausklang des Tages auf dem Programm, der in einem Brauhaus in der Bonner Altstadt stattfand.

Der zweite Tag begann mit einem Impulsvortrag „zum Stand der Hochschullehre“ von Bettina Jorzik, Programmleiterin im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Zu ihren bewusst zugespitzten Thesen gehörte etwa die Aussage, dass sich die Hochschullehre im „Ruhemodus“ befände, insofern zwar neue Medien miteinbezogen würden, jedoch kaum didaktische Innovationen in der Breite zu beobachten seien. Dazu trage auch bei, dass die Erkenntnisse der Lehr-/Lernforschung weitgehend ignoriert und, mit Ausnahme etwa der Medizin, in den Fachgesellschaften keine Rolle spielen würden. Hochschullehrende verfügten zudem oft nicht über genügend Prüfungsexpertise. Sie seien auf die Vermittlung von Wissen, den „Unterrichtsstoff“ fixiert, statt den Studierenden eigene Forschungskompetenzen beizubringen. Dem stehe zusätzlich das Fehlen einer gelebten „Fehlerkultur“ an Hochschulen entgegen, die Fehlermachen als ungemein produktives Element des Lernens begreife, statt es in Prüfungen zu sanktionieren und sonst zu verschweigen. Schließlich bemängelte Frau Jorzik eine Abwehrhaltung gegenüber dem Begriff „Schule“ und die beinahe ausschließliche Identifikation vieler Hochschullehrenden mit der Rolle der/s Forschenden.

Wie zu hoffen war, sorgten diese Thesen für reichlich Diskussionsbedarf. Einige Teilnehmer/innen betonten im Einklang mit Frau Jorzik die Wichtigkeit von „employability“ bei der Vermittlung von Kompetenzen an Studierende. Kritisch wurde hingegen auf die Freiwiligkeit der Hochschulbildung als Unterscheidungsmerkmal zur Schule hingewiesen. Der Anspruch des forschenden Lehrens sei zudem vor dem Hintergrund einer sehr heterogenen Studierendenschaft teilweise schwer zu realisieren, insbesondere weil es leistungsschwachen Studierenden oft an Grundfertigkeiten fehle. Entsprechend müssten erst solche Basiskompetenzen gestärkt werden, bevor ein „sokratisches Gespräch“ auf Augenhöhe geführt werden könne. Schließlich sei unklar, wie sich die stark spezialisierten Fragestellungen aktueller Forschungen mit dem thematisch breiteren Zuschnitt insbesondere von Einführungsveranstaltungen vereinbaren ließen. In ihrer Antwort machte Frau Jorzik unter anderem deutlich, dass nicht versucht werden sollte, die Studierenden an den aktuellen Forschungstand heranzuführen, sondern sie so auszubilden, dass sie die Wissenschaft als Methode zur Erschütterung von Gewissheiten aktiv erleben und einsetzen könnten. Schließlich richtete sich die Diskussion auf mangelnde Anreizstrukturen für gute Lehre. So gäbe es keine Infrastruktur zur Förderung innovativer Lehrprojekte, die mit der Forschungsförderung durch die DFG vergleichbar wäre. Diesbezüglich wies Frau Jorzik darauf hin, dass der Stifterverband schon seit 2007 für die Idee eines Pendants zur DFG für die Förderung der Lehre werbe. Mit dem Auslaufen des Hochschulpaktes 2020 ergäben sich dafür nun neue Chancen. Der Stifterverband selber wird in Zukunft auch Lehrfellowships als Tandem an Antragsstellende mehrerer Hochschulen vergeben, um neben Projekten an einzelnen Universitäten auch vernetzte Projekte unterstützen zu können.

Unmittelbar nach dem Impulsvortrag und der Diskussion im Plenum fanden zeitgleich zwei Workshops statt, die Gelegenheiten zum aktiven Mitentwickeln von Lehrkonzepten gaben. Im Workshop „Rechtsextremismus und Zivilgesellschaft“ präsentierten Julia Schulze Wessel, Susann Beyer, Carla Ostermayer, Franz Thiele (Dresden) und Ellen Thümmler (Chemnitz) ihr gleichnamiges Seminarkonzept, das im Projekt „Lehrpraxis im Transfer sächsischer Universitäten“ entstand. Das Seminar bestehend aus einem Theorieteil mit Praxisphasen (z.B. „Von der Theorie zur Praxis I: Wie gestalte ich ein wissenschaftliches Poster?“ oder „Methodenmarkt zu Methoden der empirischen Sozialforschung“) bietet Studierenden die Gelegenheit eigene kleine Forschungsarbeiten im o.g. Themenbereich zu entwickeln und zum Abschluss des Seminars zu präsentieren. Auf besonderes Interesse stießen im Workshop neben der Seminarkonzeption als solches die mitgebrachten Themenbeispiele sowie die Herausforderungen in der Konzeption eigener kleinerer Forschungsdesigns. Teilnehmer/innen und Präsentierende diskutierten (mitunter auch kritisch) über die Herausforderungen der hochschulübergreifenden Zusammenarbeit, ebenso wie über die Zugänge mit Akteuren aus der „rechten Szene“. Gleichsam standen Fragen nach der Honorierung, den Personalkapazitäten, der Deputatsberechnung sowie des Workloads im Fokus. Interessant war für viele die Idee, dass hier entstandene Forschungsarbeiten als Vorarbeiten einer anschließenden Bachelorarbeit aufgegriffen werden. Kolleginnen und Kollegen zeigten sich gleichermaßen beeindruckt von Projektinhalt und Aufwand des Teams rund um Julia Schulze Wessel.

Der zweite Workshop wurde von Kai-Uwe Schnapp angeboten und bezog die TeilnehmerInnen in die Gestaltung des Grundkurses empirische Sozialforschung der Universität Hamburg ein. Dabei geht es um kleine Forschungsprojekte (z.B. Umfragen oder Zielgruppeninterviews), die Studierende in Abstimmung mit zivilgesellschaftlichen Auftraggebern (z.B. Sportvereinen, Nachbarschaftsvereinen) konzipieren und durchführen. Der Aufbau des Grundkurses ist als „work in progress“ zu verstehen. Eine Neuerung wurde dazu direkt im Workshop ausprobiert, nämlich die Idee, dass sich Forschungsgruppen eine „Verfassung“ mit Regeln und Pflichten für die gemeinsame Arbeit geben sollten. Zum anderen diskutierten die TeilnehmerInnen intensiv über Vor- und Nachteile eines webbasierten Evaluationsinstrumentes, mithilfe dessen Studierende die Qualität ihrer Gruppenarbeit bewerten können und das Dozierenden als „Frühwarninstrument“ dient, um Probleme in den Arbeitsgruppen rechtzeitig zu erkennen.

Die Abschlussdiskussion gab dann Gelegenheit, sowohl die Tagung Revue passieren zu lassen als auch Anregungen zur weiteren Arbeit der Themengruppe zu geben. Hier gab es viel wertvolles Feedback und eine Fülle konkreter Ideen für zukünftige Veranstaltungen. Insbesondere wurde der Wunsch geäußert, das Workshopformat auch in künftigen Tagungen zu verwenden. Als Themenvorschläge wurden unter anderem Möglichkeiten zur Publikation über Lehrprojekte, das Rollenverständnis der Lehrenden und die Frage von Normativität in der Lehre angeregt.

Statt nun ein umfassendes Fazit zu ziehen, sollen noch einmal einige Tendenzen, die aus unserer Sicht auf der Tagung sichtbar wurden, herausgestellt werden: Ganz allgemein ließen die rege Beteiligung und die intensiven Diskussionen darauf schließen, dass ein großer Wunsch nach Austausch über konkrete Lehrerfahrungen, aber auch in Bezug auf übergreifende Herausforderungen (Heterogenität der Studierendenschaft, Rollenbilder und Organisationskultur an Hochschulen, Vereinbarkeit von guter Lehre und akademischer Karriere), besteht. Die sehr kreativen Projekte zeigten, dass trotz teils rigider Prüfungsvorgaben hochinnovative Ideen umsetzbar sind. Mit Blick auf das „Lehrhandwerk“ fiel auf, dass die Nutzung digitaler Medien inzwischen als selbstverständlich betrachtet wird. Nicht mehr ob, sondern wie diese Medien konkret welche Lehrmethoden unterstützen, bestimmte die Diskussion, die sich damit von Pauschalurteilen à la „Fluch oder Segen“ angenehm abhob und konstruktiv geführt wurde. Aspekte der Evaluation spielten auch eine große Rolle, wobei nicht mehr ausschließlich auf die Bewertung der Qualität von Lehrveranstaltungen durch Studierende, sondern zunehmend auf die Überprüfung des Lernfortschritts, gerade im Vergleich zu klassischen Lehrmethoden, abgezielt wird. Schließlich wurde klar, dass neben Tagungen und Workshops weitere Wege des Wissenstransfers über Lehre gesucht werden müssen, wozu nicht zuletzt Publikationsmöglichkeiten zählen.

Wir möchten abschließend allen TeilnehmerInnen auch an dieser Stelle nochmals für ihr großes Engagement und die konstruktive Atmosphäre der Tagung danken. Ein besonderer Dank geht darüber hinaus an die Studierenden, die als freiwillige HelferInnen die gesamte Tagung unterstützt und damit maßgeblich derem Gelingen beigetragen haben.

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