Lebhafte Debatten in einem als „verstaubt“ geltenden Fach: Bericht über die Tagung aus Studierendenperspektive

Dieser Beitrag von Niklas Nolting (HSU Hamburg) ist der Abschluss der Blogserie “Hochschullehre in der Politischen Theorie und Ideengeschichte”.

 

Als Studierender stellt man sich häufig die Frage nach dem Verhältnis und der Vereinbarkeit von aktuellen politischen Entwicklungen oder Stimmungen und dem Lehrplan, der Theorie-Seminaren zugrunde liegt. Dies war auch ein wiederkehrender Diskussionspunkt des Workshops Theorielehrender in Hamburg. Hier wurden das Prinzip der Freiheit der Lehre und ihre potentiellen politischen Implikationen, die sich zum Beispiel in der Lehrplangestaltung manifestieren, abgewogen. Beispielsweise thematisierten Frederik Metje und Simon Rettenmeier in ihrem Vortrag über „die Schizophrenie des Lehrens politischer Theorie“ mögliche Gefahren, die aus einer Diskussion von Theoretikern mit rassistischen Grundannahmen resultieren. Sicher kann eine Verbannung Kants (aufgrund eines Rassismus-Verdachts) oder Heideggers und Schmitts (aufgrund ihrer Involviertheit in der NS-Zeit) vom Lehrplan nicht die Lösung sein: Welcher Lehrende hat einen „objektiven Standpunkt“ und kann entscheiden, wer es nach den heutigen Kriterien verdient hat gelehrt zu werden? Aus Studierendenperspektive erscheint es mir zudem paternalistisch, derartige Lehrinhalte nicht in Curricula aufzunehmen.  Vielmehr wäre es wünschenswert, Studierenden die Befähigung zum eigenständigen kritischen Denken zuzutrauen und diese Fähigkeit stärker zu betonen und zu fördern, anstatt den Lehrinhalt zu reglementieren. Auch der Roundtable war sich diesbezüglich einig: Die politische Theorie besteht gerade aus dem Denken über sowie dem Ringen mit ideologischen und weltanschaulichen Differenzen. Im Zweifel kann eine ungeliebte Theorie immer noch als Sparringspartner zu Generierung von passenden Gegenargumenten dienen. Die Lehre verliert etwas, wenn sie sich gewissen Inhalten grundsätzlich verschließt, und verkommt dadurch zu einem stromlinienförmigen Laborobjekt. Aus der Sicht des Lernenden war es erfreulich, dass die lebhafte Diskussion der Tagung zeigte, dass diese Diskrepanzen nicht bloß in der Studierendenschaft, sondern ebenso bei den DozentInnen Sprengstoff bergen und vor dem Hintergrund aktueller politischer Entwicklungen kontrovers thematisiert werden.

Aus Studierendenperspektive wurde eine häufig als „abstrakt“ oder „verstaubt“ geltende Disziplin durch viele Diskussionen des Workshops plötzlich ganz lebhaft und anschaulich. Dazu trug auch die Debatte um die Methodik des Lehrens politischer Theorie bei. Rieke Trimcev und Lisa Klingsporn erklärten, dass sie politische Theorie (bzw. Ideengeschichte) gerne anhand eines Planspiels lehrten, indem die Studierenden das Leben in einem fiktiven Dorf, das über zuvor festgelegte Ressourcen verfügt, selbst politisch organisieren müssen. Mir schien insbesondere die Frage interessant zu sein, inwieweit sich „meine“ Ausgestaltung des Dorfes im Verlauf meines Studiums bereits verändert hätte oder noch verändern würde.

Insgesamt haben die Diskussionen und Fragestellungen der Tagung dazu beigetragen, dass ich eine neue Perspektive und ein besseres Verständnis für die Herausforderungen zu erlangen, die mit der Lehre der politischen Theorie einhergehen. Der Satz eines Teilnehmenden ist für mich mit einem faden Beigeschmack in Erinnerung geblieben: „Wer im akademischen Bereich Karriere machen will, der sollte seinen Fokus nicht zu sehr auf die Lehre richten.“ Dieser Umstand ist uns Studierenden eher selten bewusst. Zudem war ein weiterer Diskussionspunkt aus Studierendenperspektive überraschend dominant: die Angst angesichts rapider verändernder gesellschaftlicher Strömungen an den Rand der Forschungswelt und in die Bedeutungslosigkeit gespült zu werden. Dieser Angst trug insbesondere Gary S. Schaal Rechnung, indem er einen Appell für die Öffnung der politischen Theorie für digitale Technologien und Methoden formulierte. Sowohl didaktisch als auch inhaltlich müsse sich die politische Theorie auf das Arbeiten mit Algorithmen und Text Mining einlassen, da sie sonst zukünftig an Relevanz einbüße. Mit diesem zukunftsgerichteten Denken sprach er insbesondere auch die jungen WissenschaftlerInnen und Studierenden an, da sie es sind, die sich mit der Zukunft dieser Disziplin auseinandersetzen werden müssen.

 

Anm.: Als Anschlussveranstaltung ist derzeit ein internationaler Workshop zu Methoden und Herausforderungen der Theorielehre in Planung, der auch eine vergleichende Perspektive auf das Lehren und Lernen in verschiedenen nationalen bzw. kulturellen Kontexten einnehmen wird. Weitere Informationen folgen sobald Konferenz- bzw. Workshop-Planungen wieder möglich sind.

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