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Take Home Exams als alternative Prüfungsformen in der Politikwissenschaft

Dies ist ein Gastbeitrag von Dana Atzpodien (Universität Münster).

Die Verlagerung der Lehre in den Online-Betrieb hatte erhebliche Auswirkungen auf den Prüfungsbetrieb an den politikwissenschaftlichen Instituten deutscher Universitäten. Waren an vielen Standorten vor der Pandemie Präsenzklausuren im Hörsaal Standard bei der Prüfung großer Lerngruppen, stehen viele Lehrende nun vor der Herausforderung, Alternativen zu entwickeln. Neben Online-Klausuren rücken dabei sogenannte „Take Home Exams“ in den Fokus. Warum Take Home Exams auch unabhängig von digitalen Hochschulsemestern eine willkommene Ergänzung des Prüfungsportfolios in der Politikwissenschaft sind, werde ich in diesem Blogbeitrag ausformulieren.

Zunächst werde ich erläutern was Take Home Exams überhaupt sind und was bei der Konzeption, Vorbereitung, Durchführung und Bewertung für Prüfende zu beachten ist. Anschließend folgen zwei Praxisbeispiele aus meiner Lehre am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster: Ein Take Home Exam in Anlehnung an eine Klausur und ein Take Home Exam in Anlehnung an eine Hausarbeit. Danach gehe ich auf das Feedback der Studierenden zu den beiden Prüfungen ein und ziehe mein eigenes Resümee. Nach dem abschließenden allgemeineren Fazit folgen noch weiterführende Links zur umfassenden Auseinandersetzung mit der Prüfungsform.

Dieser Blogbeitrag fasst die zentralen Inhalte des Zoom-Workshops vom 4. Mai 2021 zusammen. Den gesamten Vortrag können Sie sich auf YouTube ansehen.

Take Home Exams

Beim Take Home Exam bearbeiten die Studierenden „eine oder mehrere vorgegebene Fragestellungen schriftlich oder elektronisch, eigenständig, ohne Aufsicht, ggf. unter Nutzung von zugelassenen Hilfsmitteln, im Umfang einer bestimmten Bearbeitungsdauer und in einem festgelegten Bearbeitungszeitrahmen, der länger als die eigentliche Bearbeitungsdauer der Prüfungsleistung sein kann“ (Universität Hamburg 2021).

Das Take Home Exam bietet als digitale Prüfungsform einige Vorteile gegenüber einer klassischen Klausur: Insbesondere während der Pandemie müssen die Studierenden für die Prüfung nicht in die Universität kommen und können die Prüfung zu Hause oder an einem Ort ihrer Wahl ablegen. D.h. die Prüfenden müssen sich nicht mit der Raumplanung oder einem Hygienekonzept auseinandersetzen. Durch die individuelle Gestaltung der Prüfungsumgebung ist es den Studierenden möglich, ihren individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. Wenn die Prüfungszeit dann auch noch angemessen länger als die eigentliche Bearbeitungszeit ist, können außerdem Pausen eingelegt sowie Care-Verpflichtungen und Lohnarbeit nachgegangen werden. Ebenso wie bei einer Hausarbeit zeichnet sich die Prüfungsform daher durch ein hohes Maß an Vertrauen gegenüber den Studierenden und Eigenverantwortung aus. Es wird auf eine Überwachung, wie bei einigen Online-Klausuren, via Videokamera oder Tonaufnahmen verzichtet und es gibt keinen Eingriff in die Privatsphäre der Studierenden. Das Format des Take Home Exams ermöglicht es, gegenüber einer Online-Klausur, darüber hinaus technische Probleme besser aufzufangen bzw. setzt die Studierenden und Prüfenden nicht so unter Druck wie bei einem engeren Zeitfenster. Die Studierenden benötigen auch nicht durchgängig oder stabil einen Internetzugang, sondern nur beim Down- und Upload der Aufgabenstellung und Abgabe der Prüfung.

Die begrenzte Bearbeitungszeit bietet trotz der gegebenen Freiheiten mehr Planungssicherheit für alle Beteiligten. Planungssicherheit ist sowohl für die Studierenden als auch die Prüfenden von Vorteil, da am Ende des Semesters meist mehrere Prüfungen koordiniert werden müssen. Außerdem kann anders als bei Klausuren die Arbeitsbelastung für die Studierenden gestreut werden.

(Online) Klausur Take Home Exam Hausarbeit
Durchführung Prüfungszeit entspricht der Länge der Bearbeitungszeit Prüfungszeit entspricht der Länge der Bearbeitungszeit plus Puffer Prüfungszeit ist unabhängig von der Bearbeitungszeit: Abgabefrist meist Ende des Semesters
Kompetenzbereiche

(Hochschulrektorenkonferenz 2015)

(1) Erinnern und verstehen
(2) Anwenden
(2) Anwenden
(3) Analysieren und Bewerten
(4) Erweitern und Erschaffen
(1) – (4)
Vorbereitung Probeklausur
Aufgabenstellung und Erwartungshorizont
Technische Infrastruktur
Probe Take Home Exam

Aufgabenstellung und Erwartungshorizont
Technische Infrastruktur

Beispiele
Individuelle Sprechstunde(n) mit Studierenden
Bewertung Automatisiert und händisch
Inhalte gemäß Erwartungshorizont
Händisch
Inhalte und Struktur gemäß Erwartungshorizont(Inhalt individuell)
Händisch
Struktur gemäß Erwartungshorizont
Inhalt individuell

Bevor ich final auf die beiden von mir selber erprobten Formate von Take Home Exams und die Erfahrungen mit meinen Studierenden berichte, werde ich allgemeiner auf die Konzeption, Vorbereitung, Durchführung und Bewertung der Take Home Exams eingehen.

Konzeption

Das Take Home Exam ist ein flexibler Hybrid aus einer klassischen (Online-) Klausur und einer Hausarbeit. Dabei können sowohl die Form als auch die Inhalte auf das jeweilige Vorlesungs- bzw. Seminarkonzept und die Studienleistung angepasst werden und vice versa. Schreiben die Studierenden in der Studienleistung Essays oder fertigen Flussdiagramme an, kann dies auch Bestandteil des Take Home Exams sein. Grundsätzlich empfiehlt sich bei der Konzeption eine Abstimmung auf die für das Seminar formulierten Lern- und Kompetenzziele. Der Umfang des Seminars und der Prüfungsleistung kann wiederum mit der Prüfungsordnung abgeglichen werden.

Im Gegensatz zur Klausur und ähnlich zur Hausarbeit ist das Take Home Exam darüber hinaus durch die längere Bearbeitungszeit eine ausgezeichnete Option, um die Prüfung als eine Fortsetzung des Lernprozesses für die Studierenden zu gestalten anstelle einer reinen Abfrage von vorher vermitteltem Wissen. Die Studierenden können die Zeit bei den Aufgaben der höheren Kompetenzbereiche für Reflexion nutzen und ihr gelerntes Wissen anwenden (Bengtsson 2019). Komplexere Aufgaben aus den höheren Kompetenzbereichen erschweren außerdem wissenschaftliches Fehlverhalten. Es bieten sich insbesondere die Anforderungsniveaus „Anwenden“, „Analysieren und Bewerten“ sowie „Erweitern und Erschaffen“ an, wobei die ersten beiden gut miteinander verbunden werden können. Eine Aufgabenstellung im Anforderungsbereich „Erweitern und Erschaffen“ verlangt von den Studierenden deutlich mehr und kann schwer zeitlich kalkuliert werden, was zu einer Überforderung bei den Studierenden führen kann. Für eine primäre Prüfung dieses Anforderungsbereichs bietet sich die klassische Hausarbeit als Prüfungsformat an. Um auch die Bewertung der Aufgaben höherer Anforderungsbereiche zu vereinfachen, sollte bei der Konzeption des Take Home Exams notiert werden, welche und in welchem Umfang die Studierenden Hilfsmittel nutzen dürfen und wie sie diese sichtbar machen müssen.

Einzig das Anforderungsniveau „Erinnern und Verstehen“ bietet sich nicht für ein Take Home Exam an, da es grundsätzlich als open book-Format angelegt ist. Wenn die Studierenden die Prüfung zu Hause ablegen, stehen Ihnen prinzipiell alle Seminarunterlagen, Kommiliton*innen und das Internet offen. Die Studierenden könnten die Antworten zu einfachen Wissensabfragen also einfach kopieren. Bei Aufgaben der höheren Anforderungsbereiche ist dies nicht so leicht möglich.

Um die Länge der Prüfung und damit die Bearbeitungszeit zu kalkulieren, empfiehlt es sich einen detaillierten Erwartungshorizont zu erarbeiten. Dieser kommt den Dozierenden dann auch bei der Auswertung zugute. Anders als bei einer Klausur können hier neben den inhaltlichen Anforderungen auch Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens, wie die Zitation, angemessen berücksichtigt werden.

Vorbereitung

Die Vorbereitung eines Take Home Exams besteht aus universitätsspezifischen, technischen, rechtlichen und letztendlich inhaltlichen Aspekten. Zunächst sollten sich Dozierende informieren, ob ihre Universität das Take Home Exam als Prüfungsform zugelassen hat und wenn ja, ob es dafür Regelungen gibt. Dann stellt sich die Frage nach der technischen Umsetzung: Es ist wenig ratsam die Verteilung und Abgabe der Aufgaben per Mail zu koordinieren. An der Universität Münster beispielsweise werden alle Online-Prüfungen des Instituts für Politikwissenschaft auf der Plattform ExamWeb durchgeführt. Für diese gibt es wiederum einheitliche Regelungen zur Prüfungsanmeldung, ‑durchführung und ‑dokumentation, was die rechtliche Absicherung für die Prüfenden und Studierenden erleichtert. Sollte es gesonderte Prüfungsplattformen geben, sollten die Prüfenden die Studierenden darauf vorbereiten und am besten vorab der Prüfung alle Studierenden dort einen Testlauf durchführen lassen. Bei dem Testlauf können außerdem die Dokumentationsanforderungen getestet werden.

Wenn die administrativen Aspekte geklärt sind und Dozierende die Prüfung seminarspezifisch konzipiert haben, sollten sie die Modalitäten des bisher wenig bekannten Formats umfassend an die Studierenden kommunizieren. Das heißt auch, je „ungewöhnlicher“ die Konzeption der Prüfung und je abweichender vom Modus des Seminars, desto umfangreicher empfiehlt sich die Absprache mit Studierenden. Aus meiner Erfahrung sind eine genaue Ausformulierung der Anforderungen und Bewertungskriterien hilfreich, weil sie den Studierenden Unsicherheiten nehmen. Ebenso wie bei einer Klausur oder Hausarbeit sollte vor der Prüfung im Seminar Zeit gegeben werden, Fragen zum Prüfungsformat und Inhalten zu stellen. Damit vermeiden Prüfende außerdem, dass Studierende unterschiedliche Informationen erreichen.

Abschließend sollte vorher bekannt gemacht werden, an wen sich die Studierenden bei technischen und inhaltlichen Problemen während der Prüfungsdurchführung wenden können.

Durchführung

Während der Durchführung der Prüfung zahlt sich eine umfassende Prüfungsvorbereitung und klare Kommunikation mit den Studierenden aus. Im besten Fall läuft alles nach Plan und es kommen keine Fragen oder Probleme auf. Und falls doch, greifen die Sicherheitsnetze.

Die Prüfung startet mit der automatisierten Bereitstellung der Aufgabenstellung. Wenn vorher schon alle formalen Anforderungen auf der Prüfungsplattform hochgeladen waren, bietet es sich an, ein gesondertes Dokument für die Aufgabenstellung zu erstellen. Diese Informationen können aber auch alle in einem barrierefreien pdf-Dokument bereitgestellt werden.

Ebenso sollten sich die Information für den Notfallkontakt bei Problemen während der Prüfung sowie die Upload-Funktion für das Einreichen der erbrachten Leistung auf der Prüfungsplattform befinden. Auch hier bietet sich eine automatisierte Lösung an, die den Upload der Prüfung nach Ablauf der Frist blockiert.

Die Studierenden geben Ihre Ausarbeitung innerhalb des Bearbeitungszeitraumes ab und müssen dem Dokument, wie bei einer Hausarbeit, eine Eigenständigkeitserklärung beilegen.

Bewertung

Nach Ablauf der Bearbeitungszeit kann direkt mit der Korrektur der Take Home Exams begonnen werden. Dies orientiert sich an dem vorher erstellten Erwartungshorizont und Notenschlüssel. Wie bei anderen Prüfungen bietet es sich auch hier an, einen Erwartungshorizont pro Prüfungsleistung und Studierenden auszufüllen und eine individuelle Dokumentation über die Leistungsevaluation anzufertigen.

Neben der Leistungsdokumentation sollten die Prüfenden auch die Prüfungsplattform, bzw. -durchführung dokumentieren. Dies orientiert sich an den universitäts- und plattformspezifischen Vorgaben. Mit der Dokumentation der Prüfungsplattform kann für spätere Fragen belegt werden, welche Informationen den Studierenden zur Verfügung gestellt oder welche Anforderungen kommuniziert wurden.

Nach der Korrektur werden die individuellen Leistungsevaluationen sowie die Prüfungsdokumentation an das Prüfungsamt gesendet und die Prüfung ist für den Prüfenden final abgeschlossen.

Praxisbeispiele

Ich habe in meiner Lehre bereits zwei Versionen eines Take Home Exams als Prüfungsleistung zum Seminarabschluss erprobt. Einmal in Anlehnung an eine Klausur und einmal in Anlehnung an eine Hausarbeit.

Das Take Home Exam in Anlehnung an eine Klausur beinhaltete einen Block den Anforderungsbereiches 1 und 2 bei dem die Studierenden sowohl Wissen reproduzieren und angemessen mit Zitation versehen mussten. Dies bot sich an, da die Studierenden im ersten Semester waren und noch wenig Erfahrung mit Klausuren, universitären Prüfungen im Allgemeinen und wissenschaftlichen Arbeiten hatten. Ziel des Seminars und der Prüfung war es Grundlagen zu vermitteln und diese auch zu prüfen, ohne eine reine Wissensabfrage durchzuführen. Diese bietet sich, wie beschrieben, nicht für eine open book-Prüfung an. Auch der restliche Teil der Prüfung bewegte sich mit Essay-Aufgaben maximal im Anforderungsbereich 3.

Das Take Home Exam in Anlehnung an eine Hausarbeit richtete sich an Studierende eines Lektürekurses im fortgeschrittenen Studium. Es prüfte Aufgabenstellungen im Anforderungsbereich 3 und 4, aber gab den Studierenden anders als bei einer Hausarbeit bei der die Studierenden das Thema und die Fragestellung frei wählen, detaillierte Aufgabenstellungen.

Praxisbeispiel I: Take Home Exam in Anlehnung an eine Klausur

Ein Take Home Exam in Anlehnung an eine Klausur konzipierte ich für mein Seminar „Grundlagen der empirischen Parteienforschung“ im Wintersemester 2020/21 an der Universität Münster. Das Seminar war ein Einführungsseminar und richtete sich vor allem an Studierende im Grundstudium.

Das Seminar bestand aus Selbstlernphasen und Präsenzphasen zum persönlichen Austausch. In den Selbstlernphasen erarbeiteten die Studierenden die Seminarlektüre, nutzten ein Online Austauschforum zur Diskussion und fertigten Mindmaps, Essays oder eine stichpunktartige Zusammenfassung der Seminarliteratur an. Zu jeder Form der Studienleistung gab es einen Erwartungshorizont und zu den Essays auch bis zu zweimal individuellem Feedback. Durch diese Vorbereitung und Übung aus dem Seminar bot es sich an, die Essays auch mit in die Prüfung zu integrieren.

Die 24 Studierenden, die an der Prüfung teilnahmen, erhielten 48 Stunden Prüfungszeit, um die folgenden Aufgaben zu bearbeiten:

  • Im Wissensteil galt es 7 Fragen in Stichpunkten und mit Zitation versehen zu beantworten (insgesamt maximal 15 Punkte).
  • Der Essayteil bestand aus drei Themenblöcken, aus denen die Studierende zwei auswählen und bearbeiten mussten (je Essay maximal 15 Punkte). In jedem thematischen Block schrieben die Studierenden einen Essay und wählten dafür wiederum aus zwei vorformulierten Fragestellungen, bzw. kontroversen Hypothesen aus. Die Essays sollten maximal 1000 Wörter lang sein und thematisierten im Seminar bearbeitete Theorien und Fälle.
  • Die formalen Anforderungen wie Layout, Zitation und Literaturverzeichnis wurden gesondert mit bis zu maximal 5 Punkten bewertet.

Praxisbeispiel II: Take Home Exam in Anlehnung an eine Hausarbeit

Ein Take Home Exam in Anlehnung an eine Hausarbeit konzipierte ich für mein Seminar „Quantitative Texte lesen und verstehen!“ noch vor der Pandemie im Wintersemester 2019/20 an der Universität Münster. Das Seminar war ein Lektürekurs und richtete sich vor allem an Studierende in fortgeschrittenen Semestern bzw. im vertiefenden Studium.

Im Seminar erarbeiteten wir uns anhand von theoretischen und empirischen Texten die Grundlagen der Erstellung eines Forschungsdesigns. Außerdem gehörte zu der Studienleistung und Seminarinhalten die Anfertigung eines Flussdiagramms, welches einen quantitativen, empirischen Forschungsprozess abbildete. Für das Take Home Exam erhielten die Studierenden 120 Stunden bzw. 5 Tage Bearbeitungszeit und sollten ein Forschungsexposé, bzw. Forschungsdesign samt Flussdiagramm anfertigen.

Die Studierenden konnten aus zwei Themenblöcken mit vorformulierten Forschungsfragen und passender Literatur auswählen. Die Themenblöcke orientierten sich an dem im Seminar bearbeiteten empirischen Literatur. Pro Themenblock gab es eine vorformulierte Forschungsfrage, die die Studierenden so bearbeiten oder nach eigenen Wünschen abändern konnten. Ziel des Take Home Exams war, einen hypothetischen Forschungsprozess zu der genannten Forschungsfrage zu bearbeiten und methodische Herausforderungen und Limitierungen dazustellen sowie kritisch zu diskutieren.

Beispiel aus dem Themenblock „Wahlforschung“

Puzzle: Unterschiede von Wähler*innen verschiedener Parteien

Fragestellung: Welche Eigenschaften/Interessen/Positionen/Parteienidentifikation (Erkenntnisinteresse)  haben die Wähler*innen der Partei (SPD/CDU/CSU/Die Grünen/FDP/Die Linke/AfD oder Nicht-Wähler*innen) bei der Wahl (Analysezeitraum und -ort) in (Bundes-)Land (im Vergleich zu XX)?

Die Studierenden sollten dann im ersten Schritt die Fragestellung auf den Analysegegenstand, -zeitraum, und Ihr genaues Forschungsinteresse spezifizieren. Anschließend fertigten sie ein kommentiertes Flussdiagramm zu Ihrem hypothetischen Forschungsprozess an. Den größten Umfang besaß die schriftliche Ausarbeitung zum Flussdiagramm, welches Spezifikationen des Forschungsprozesses offenlegte, mögliche Herausforderungen bei der Umsetzung benannte und Lösungsansätze diskutierte.

Dazu sollten die Studierenden einen kurzen Forschungsstand auf Grundlage der von mir bereitgestellten Literatur ausarbeiten und die Konzepte ausfindig machen, die für die Bearbeitung der Forschungsfrage relevant sind ohne sie umfassend darzustellen. Vielmehr bot diese Ausarbeitung die (rudimentäre) Grundlage für den methodischen Teil des Forschungsdesigns. Anschließend sollten Sie Forschungshypothesen präsentieren und die Auswahl der von ihnen verwendeten Daten und Analysemethode rechtfertigen. Da es sich um ein Forschungsexposé handelte, sollten die zu erwartenden Ergebnisse abschließend besprochen werden. Dies meinte nicht die inhaltlichen Ergebnisse, sondern die Form, in der die Studierenden die Ergebnisse präsentieren würden und welche Implikationen (nicht) möglich sind mit der Art der gewählten Analysemethode.

Dieses sehr frei gestaltete Take Home Exam wurde von vier Studierenden geschrieben, da das Seminar nur von fünf Personen besucht wurde. Daher war auch die Vorbereitung auf diese Prüfungsform sehr intensiv. Ohne viel Austausch zu der Prüfungsform und den Anforderungen (Erwartungen der Dozierenden) wäre es sonst sicherlich schnell zu einem Missverständnis bei den Studierenden und Frustration gekommen. Da die Studierenden die Prüfungsform in Teilen außerdem im Seminar vorher erproben konnten und Feedback dazu bekamen, funktionierte das Take Home Exam sehr gut. Die Studierenden konnten sich kreativ und individuell mit methodischen Problemen auseinandersetzen und zeigten eine hohe Methodenkompetenz für quantitative, empirische Parteienforschung.

Feedback der Studierenden

Die Studierenden meldeten zurück, dass sie die Hilfestellung per Mail während der Bearbeitung angenehm empfanden. Hier kamen vor allem Fragen zur Zitation und ob bspw. Antworten in Stichpunkten ganze Sätze bedeuteten. Die Aufgabenstellung war so wie erwartet und vorher kommuniziert, insbesondere die Auswahlmöglichkeiten gefiel den Studierenden. Auch die Vereinbarkeit mit anderen Aufgaben wie Lohnarbeit oder anderen Prüfungen, die zeitlich nicht so flexibel terminiert waren, sowie die individuelle Zeiteinteilung lobten einige Studierende.

Trotz des positiven Feedbacks meldeten vereinzelt Studierende, dass sie vor allem als Erstsemester mit den Anforderungen des wissenschaftlichen Arbeitens überfordert waren und sich dadurch besonders unter Zeitdruck gesetzt gefühlt haben. Ebenso empfanden einige beim Take Home Exam, welches an eine Klausur angelehnt war, die Bearbeitungszeit als zu lang im Verhältnis zur Prüfungszeit. Sie empfohlen mir in Zukunft nur ein Essay anfertigen zu lassen. Durch das für einige Studierende schlecht aufeinander abgestimmte Verhältnis von Bearbeitungs- und Prüfungszeit konnten diese nicht ihren Care-Verpflichtungen nachkommen oder mussten in der Nacht an den Aufgaben arbeiten. Gleichzeitig lade die längere Prüfungszeit dazu ein, diese auch ganz zur Bearbeitung der Aufgaben zu nutzen und schaffe dadurch einfach eine lange Bearbeitungszeit und keine Pausen. Ebenso formulierten die Erstsemester, dass das Prüfungsformat, wenn es unbekannt ist, sehr schlecht einzuschätzen sei und daher den Stresslevel im Vergleich zu einer bekannten Klausur oder Hausarbeit erhöhe.

Meine Lehren für zukünftige Take Home Exams

Grundsätzlich erfordert die bisher bei den Studierenden noch wenig bekannte Prüfungsform viel Vorarbeit, um Unsicherheiten auszuräumen und eine faire Prüfungsvorbereitung für die Studierenden zu ermöglichen. Dies ist insbesondere für Studierende der ersten Semester herausfordernd. Sie beherrschen die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens noch nicht aus dem Effeff und haben auch für die zu prüfenden Inhalte weniger Anknüpfungspunkte. Dadurch benötigen sie zur Bearbeitung vermeintlich eindimensionaler Aufgaben mehr Zeit als Studierende, die bspw. Zitation oder Literaturrecherche bereits mehrfach erproben konnten.

Als besondere Herausforderung empfand ich die Einschätzung einer angemessenen Bearbeitungszeit auf dessen Grundlage ich die Prüfungszeit bestimmen kann. Wie beschrieben, haben die Studierenden angemerkt, dass sie die Bearbeitungszeit als zu kurz kalkuliert empfanden und dadurch die gesamte Prüfungszeit nutzen. Das möchte ich als Prüfende in Zukunft unbedingt verhindern.

Um eine realistische Einschätzung der Bearbeitungszeit zu erhalten, kann vor der Konzeption des Take Home Exams erfragt werden, wie lange die Studierenden z.B. für einen Essay oder die Anfertigung eines Flussdiagramms benötigen. Die Kalkulation der Bearbeitungszeit durch die fehlenden Erfahrungswerte bleibt jedoch die größte Herausforderung bei der Konzeption des Take Home Exams. Fehlkalkulationen fallen dann besonders ins Gewicht, wenn die Prüfungszeit nur wenig länger als die Bearbeitungszeit konzipiert wurde. Daher ist mein Tipp mit der Bearbeitungszeit großzügig zu kalkulieren. Die Prüfenden können aus Fehlkalkulationen lernen, aber es wäre ärgerlich, wenn die Studierenden in einer Prüfung, die eigentlich Zeitdruck nehmen sollte, unter starken Zeitdruck geraten. Hier muss aber wieder berücksichtigt werden, dass einige Studierende unabhängig von der Bearbeitungszeit die gesamte Prüfungszeit nutzen, um ihre Leistung zu optimieren. Da kann auch eine gute Kalkulation der Bearbeitungszeit nicht helfen. Es ist also mit dem Take Home Exam nicht möglich allen gerecht zu werden.

Jedoch, und das ist für alle Beteiligten meiner Take Home Exams eine positive Erfahrung: die Take Home Exams wurden von mir durchschnittlich besser benotet als die klassischen Klausuren und es gab im Vergleich zu den Hausarbeiten weniger Ausreißer nach unten.

Fazit

Trotz des durchaus durchwachsenen Feedbacks meiner Studierenden, denke ich, dass Take Home Exams ein großes Potenzial für den Prüfungsbetrieb in der Politikwissenschaft während und nach der Pandemie haben. Es ist nur eine Frage der Zeit bis alle Beteiligten auf Erfahrungswerte zurückgreifen können und mit den Prüfungscharakteristika vertraut sind.

Als Hybride zwischen Klausur und Hausarbeit können Take Home Exams nicht nur auf die Seminarinhalte zugeschnitten werden, sondern bieten für alle Beteiligten vielfältige Vorteile und insbesondere im Vergleich zur Klausur mehr Freiheiten. Die bessere Vereinbarkeit mit anderen Verpflichtungen, weniger Zeitdruck, die Prüfungsdurchführung zu Hause und das open book-Format sind überzeugend. Darüber hinaus, müssen sich Prüfende nicht um Hygienekonzepte und auch nach der Pandemie um die Bereitstellung einer angemessenen Prüfungsumgebung kümmern. Mir gefällt das Format der Take Home Exams besonders gut, da trotz des begrenzten Bearbeitungszeitraums eigenverantwortliches Lernen ermöglicht und Zeit zur Reflexion gibt. Es geht nicht um reine Wissensreproduktion, sondern um Aufgaben im Anforderungsbereichen 2 bis 4. Die Studierenden sollen (2) anwenden, (3) analysieren und bewerten sowie (4) erweitern und erschaffen. Damit ist das Take Home Exam ist eine willkommene Ergänzung des Prüfungsportfolios in der Politikwissenschaft, welches die Studierenden weg von verschulten Lernabfragen hin zum eigenverantwortlichen Arbeiten begleitet, ohne sie direkt mit den umfangreichen Anforderungen einer Hausarbeit zu überfordern.

Diese Flexibilität der Take Home Exams in der Durchführung und Inhalt machen sie besonders attraktiv, um passgenau zu prüfen und Prüfung den Seminarkonzepten und dem Niveau der Studierenden anzupassen. Meiner Erfahrung nach eignen sie sich dabei insbesondere für kleinere Gruppen von Studierenden bis 15 Personen. Inwiefern sich das Format auch für große Vorlesungen und als Ersatz für bspw. Eingangsklausuren eignet, kann ich nicht einschätzen. Der Korrekturaufwand der Aufgaben mit höherem Anforderungsbereich könnte hier schnell zum K.O.-Kriterium werden.

Auch wenn Take Home Exams in Zukunft sicher nicht alle Klausuren und erst recht nicht Hausarbeiten ersetzten können, möchte ich alle Prüfenden der Politikwissenschaft ermutigen sich das Format genauer anzusehen. Eventuell ist es gar nicht so schwer bestehende Klausuren in Take Home Exams umzuwandeln. Und wenn eine neue Prüfung konzipiert werden muss, warum dann nicht auch mal ein Take Home Exam?

Weiterführende Links

Informationen beispielhafter deutscher Universitäten

Wissenschaftliche Texte

Quellenangaben

Bengtsson, Lars (2019): Take-Home Exams in Higher Education: A Systematic Review. In: Education Sciences 9 (4), S. 267. DOI: 10.3390/educsci9040267.

Cleophas, Catherine; Hoennige, Christoph; Meisel, Frank; Meyer, Philipp (2021): Who’s Cheating? Mining Patterns of Collusion from Text and Events in Online Exams. In: SSRN Journal. DOI: 10.2139/ssrn.3824821.

Guangul, Fiseha M.; Suhail, Adeel H.; Khalit, Muhammad I.; Khidhir, Basim A. (2020): Challenges of remote assessment in higher education in the context of COVID-19: a case study of Middle East College. In: Educ Asse Eval Acc 32 (4), S. 1–17. DOI: 10.1007/s11092-020-09340-w.

Hochschulrektorenkonferenz (Hg.) (2015): Kompetenzorientiert prüfen. Zum Lernergebnis passende Prüfungsaufgaben (Nexus Impulse für die Praxis, 4). Online verfügbar unter www.hrk-nexus.de/impulse/kompetenzorientiertpruefen.pdf, zuletzt geprüft am 13.07.2021.

Şenel, Selma; Şenel, Hüseyin Can (2021): Use of Take-Home-Exams for Remote Assessment: A Case Study. In: Journal of Educational Technology and Online Learning. DOI: 10.31681/jetol.912965.

Universität Bremen: Take Home Exam über Stud.IP. Unter Mitarbeit von Jens Bücking. Online verfügbar unter https://www.uni-bremen.de/zmml/kompetenzbereiche/e-assessment/pruefungsformen/take-home-exam, zuletzt geprüft am 29.07.2021.

Universität Göttingen (2021): Online Prüfen. Unter Mitarbeit von Team Digitales Lernen und Lehren. Online verfügbar unter https://www.uni-goettingen.de/de/626427.html#info-2, zuletzt geprüft am 29.07.2021.

Universität Hamburg (2021): Take-Home-Exams. Die alternative digitale Prüfungsart zur Klausur in Präsenz. Unter Mitarbeit von Heiko Witt, 06.05.2021. Online verfügbar unter https://www.uni-hamburg.de/elearning/methoden/online-pruefen/take-home-exams.html, zuletzt geprüft am 12.07.2021.

Universität Paderborn (2021): Take Home Exam – kleine Ausarbeitung (24-, 48- oder 72-Stunden-Arbeit). Online verfügbar unter https://www.uni-paderborn.de/lehre/corona-lehre/digitale-pruefformate/take-home-exam, zuletzt geprüft am 29.07.2021.

Bausteine digitaler Hochschullehre in der Politikwissenschaft – Ein Interview mit Daniel Lambach

Der neueste Band in der Kleinen Reihe Hochschuldidaktik Politik befasst sich mit dem gerade hochaktuellen Thema digitaler Lehre. Anders als seine Vorgänger ist dies ein Sammelband mit insgesamt neun Artikeln, dazu noch einmal fünf Kurzporträts digitaler Werkzeuge. Wir haben mit dem Herausgeber Daniel Lambach (Universität Frankfurt) über dieses Projekt gesprochen.

 

1) Worum geht es in diesem Buch?

Es geht um digitale Lehre in all ihren Facetten. Jetzt wo das Wintersemester 2020/21 an den meisten Hochschulen wieder nahezu komplett digital stattfindet, kann man dem Thema aktuell kaum ausweichen, auch wenn Lehrende und Studierende inzwischen schon auf ihre Erfahrungen aus dem Sommersemester zurückgreifen können.

Der Sammelband ging aus einer Reihe von Online-Workshops hervor, die der AK Hochschullehre im April und Mai 2020 für die DVPW organisiert hatte. Die Resonanz auf die Workshops war einhellig sehr gut – offenbar sahen und sehen Lehrende einen großen Bedarf, sich für digitale Lehre weiterzuqualifizieren und sich darüber auszutauschen. Dem wollten wir mit dem Sammelband entgegenkommen und so dient das Buch dazu, Ideen zu dokumentieren, Praxistipps zu geben und über erste Erfahrungen zu reflektieren. Die Texte sind kurz und  anwendungsorientiert formuliert, damit Leserinnen und Leser es leicht haben, Hinweise zu finden, die ihnen bei ihrer Lehre weiterhelfen.

 

2) Warum ist das Thema für die politikwissenschaftliche Hochschullehre wichtig?

Ich möchte die Bedeutung der digitalen Lehre gar nicht auf Corona verengen, aber es natürlich klar, dass wir uns vor allem wegen der Pandemie darüber unterhalten. Aber ich bin fest überzeugt, dass digitale Lehrelemente auch nach Abklingen der Krankheitswelle ein alltäglicherer Bestandteil unserer Lehre bleiben werden. Viele Lehrende machen gerade gezwungenermaßen Erfahrungen mit digitalen Lehrmethoden und sicher werden manche einige Aspekte davon beibehalten, die auch unter normalen Umständen Mehrwert versprechen.

Ich will damit aber gar nicht suggerieren, dass wir uns erst jetzt mit der digitalen Lehre befassen sollte. Der Zug fährt schon seit zwei Jahrzehnten und die deutsche Politikwissenschaft ist, wie auch viele andere Fächer, bislang ziemlich strukturkonservativ diesbezüglich gewesen. Bisher ist digitale Lehre oft nur als didaktisches Element einzelner Lehrender angesehen worden, die sich in Eigeninitiative darum kümmern. Da ist noch viel Potenzial, digitale Lehre umfassender zu sehen, z.B. indem (teil-)digitalisierte Curricula entwickelt werden, man über digitale Selbstlernangebote nachdenkt, oder wir als Fach uns mal ernsthaft mit Open Educational Resources befassen.

All dies kann so ein kleiner Sammelband natürlich nicht leisten, aber ich denke, dass wir jetzt gerade eine Chance haben, der digitalen Lehre in der Politikwissenschaft einen wichtigen Schub zu geben, damit man sich auch mal den großen Fragen zuwendet.

 

3) Wer sollte dieses Buch lesen?

Das Buch ist für jeden und jede, der oder die in der Politikwissenschaft (und darüber hinaus) digital lehrt, ob jetzt unter den erschwerten Bedingungen der „Corona-Semester“ oder auch in Zukunft. Es soll vor allem denjenigen helfen, die über die Grundlagen ihrer Lehre nachdenken wollen und nach neuen Anregungen suchen, ganz gleich ob Professorin, Lehrbeauftragte oder Doktorandin.

Außerdem soll es ein bisschen eine Zeitkapsel sein, die unser Denken über digitale Lehre zum Stand 2020 dokumentiert. Ich gehe davon aus, dass sich die entsprechenden Konzepte und Praktiken weiterentwickeln werden. Da kann der Sammelband einen Anstoß geben und vielleicht auch ein historisches Referenzdokument sein, auf das man in fünf oder zehn Jahren nochmal zurückblicken kann.

 

Das Buch ist erhältlich über https://wochenschau-verlag.de/Bausteine-digitaler-Hochschullehre-in-der-Politikwissenschaft/41186 und bei allen Buchhandlungen.

Web Based Trainings als Teil einer Online-Lernumgebung

Dies ist ein Beitrag von Benedikt Philipp Kleer und Simone Abendschön (beide Universität Gießen).

Mit dem nun zweiten „Corona-Semester“ erfahren e-Learning-Elemente auch weiterhin eine große Aufmerksamkeit in der Hochschullehre. Hierbei stechen nicht nur einzelne Online-Elemente hervor, sondern oftmals die Kombination verschiedener Online- bzw. e-Learning-Elemente. Unserer Einschätzung nach können web-basierte Selbstlernangebote (web-based-trainings, im folgenden WBTs) Online-Lernumgebungen einer Lehrveranstaltung sinnvoll ergänzen.

WBTs sind entweder Teil einer eigenen Website oder werden in die Lernplattformen integriert, in denen die Lerninhalte geordnet und zusammenhängend vermittelt werden. Im Hochschulkontext macht sicherlich letzteres verstärkt Sinn, da diese Lernplattformen bereits bestehen. Meist werden verschiedene mediale Elemente wie Texte, Abbildungen, Screencasts, Lernvideos, Audiodateien o.ä. genutzt, um die Lerninhalte zu präsentieren und zu vermitteln. WBTs eignen sich besonders dann, wenn der vermittelnde Inhalt klar eingrenzbar und abgeschlossen ist. Der Aufbau eines WBTs ist daher modular: Der Lerninhalt wird in verschiedene Lernmodule bzw. Kapitel geordnet, womit den Lernenden auch eine inhaltliche Struktur vermittelt wird. Das WBT kann entweder autonom von Studierenden bearbeitet werden oder Lehrende leiten das Bearbeiten mit Vorgaben an. Der Einsatz erfolgt in der Regel asynchron und stellt damit den Lernenden eine flexible Möglichkeit des Selbststudiums dar. Es bietet somit insbesondere im Online-Semester eine sinnvolle Ergänzung einer Lernumgebung.

Im Sommersemester 2020 haben wir für die Vorlesung „Statistik für die Sozialwissenschaften II“ eine umfangreiche Online-Lernumgebung getestet und dabei ein WBT eingesetzt. Neben wöchentlichen Vorlesungsaufzeichnungen und synchronen wöchentlichen Online-Tutorien wurden vier kürzere Lernmodule als WBT zum Selbststudium zur Verfügung gestellt. Begleitet wurden diese Lernmodule von Lerntests und Lernkarten. Ebenso wurde in den Tutorien auf entsprechende Kapitel in den Lernmodulen zum weiteren Selbststudium verwiesen. Da die Studierenden am Ende des Semesters eine modulabschließende Prüfung ablegen mussten, die auch die Inhalte der ersten Vorlesung zum Thema hatte, wurden in Lernmodul 1 und 2 zunächst Inhalte aus dieser wiederholt. Die Lernmodule 3 und 4 behandelten dagegen Inhalte der im Sommersemester gehaltenen Vorlesung. Die einzelnen Seiten des WBTs beinhalteten neben Text, Formelerläuterungen und Abbildungen auch kurze Lernvideos, in denen einzelne Inhalte und Rechenschritte kompakt erläutert wurden. Insbesondere diese Lernvideos kamen bei den Studierenden gut an. Sinnvoll erscheint dabei die Dopplung von Inhalten in verschiedenen Formaten, z.B. in Text und kurzem Lernvideo.

Zu diesen vier Lernmodulen des WBTs wurden in der Online-Lernumgebung Lerntests geschaffen. Diese sollen den Studierenden zur Überprüfung ihres Lernstands dienen und Orientierung geben. Die Rückmeldung wurden in differenzierter Form gegeben (< 50 % korrekt: „Sie sollten das Lernmodul wiederholen.“; >= 50 % korrekt: „Sie beherrschen die Inhalte ausreichend.“; >= 70 % korrekt: „Sie beherrschen die Inhalte überwiegend.“; >= 90 % korrekt: „Sie beherrschen die Inhalte sehr sicher.“).

Zusätzlich bot sich in dieser Vorlesung die Verwendung von Lernkarten an. Lernkarten funktionieren wie klassische Vokabelkarten: Auf einer Seite stehen einzelne Begriffe, auf der anderen Seite die Erklärung bzw. Definition zu diesem Begriff. Wichtige Begriffe und Definitionen konnten so einzeln von den Studierenden gelernt bzw. wiederholt werden. Hierbei wurden die wichtigsten Begriffe eines Lernmoduls jeweils als ein Set an Lernkarten in einem digitalen „Vokabelkasten“ gebündelt.

Abbildung 1: Übersicht der Lernkarten-Box

Die Lernenden bekommen während des Trainings die einzelnen Begriffe angezeigt und können dann über das Öffnen der Definition testen, ob sie sich korrekt erinnert haben, Probleme hatten (Button „Schwierig“) oder sich nicht an den Begriff erinnert haben (siehe Abbildung 2 & 3).

Abbildung 2: Einzelne Lernkarte

Innerhalb dieser Online-Lernumgebung konnten sich die Studierenden die Inhalte mithilfe der Vorlesungsaufzeichnungen, den Lernmodulen und den synchronen Tutorien erschließen. In den Vorlesungsaufzeichnungen und Tutorien wurde an entsprechenden Stellen auf die Lernmodule für eine Wiederholung/Vertiefung verwiesen. Anwendungsprobleme wurden dabei in den synchron stattfindenden Tutorien besprochen und gelöst. Studierende hatten somit während des Sommersemesters eine verknüpfte Lernumgebung aus verschiedenen asynchronen und synchronen Elementen, die verschiedene Lerntypen adressiert hat.

Dieser Artikel ist Teil der Blogserie „Bausteine digitaler Hochschullehre in der Politikwissenschaft“.

Statistik kontaktfrei

Dies ist ein Beitrag von Achim Goerres und Hayfat Hamidou-Schmidt (beide Universität Duisburg-Essen).

Wenn man einen Pflichtkurs zur angewandten Statistik in der Politikwissenschaft kontaktfrei unterrichten will, trifft man auf zwei Herausforderungen. Zum einen muss man eine geschickte Verknüpfung vielfältiger Aktivitäten schaffen, die es den Studierenden erlauben, die abstrakten Wissensbestände aktiv in Form von Übungen mit und ohne Software konkret anzuwenden. Zum anderen muss man Studierende motivieren, in dem völlig kontaktfreien Modus bei der Stange zu bleiben und, den Empfehlungen folgend, mitzuarbeiten.

Beide Herausforderungen sind erst einmal typisch für Pflichtkurse der angewandten Statistik in der Politikwissenschaft und keineswegs spezifisch für ein „Corona-Semester“. Doch ist der Umgang mit den beiden Herausforderungen in einer Pandemie-Zeit sehr anders im Vergleich zu einer „normalen“ Zeit.

Wir glauben, die erste Herausforderung (geschickte Verknüpfung verschiedener Aktivitäten) besser gemeistert zu haben als die zweite (Motivation zum Mitmachen). Alles in Allem lehrten uns unsere Erfahrungen im Sommersemester 2020 viel.

Im Folgenden beziehen wir uns auf die Vorlesung mit Tutorium „Statistik für Politolog_innen“ im Umfang von 240 Arbeitsstunden (8 ECTS) im ersten Studienjahr des BA Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen, ein Kurs an dem typischerweise mehr als 300 Studierende teilnehmen. Ausnahmsweise erlaubte die Universität im Sommersemester 2020 Freiversuche: aktiv nicht-bestandene Prüfungen wurden nicht auf das zulässige Maximum von drei Fehlversuchen angerechnet.

Verknüpfung verschiedener Aktivitäten in einer Woche

Eine exemplarische Lehrwoche bestand für die Studierenden erstens aus einer Bearbeitung eines Onlinevideos aus dem vorgehenden Jahr nebst Folien und der Lektüre der Pflichtliteratur. Diesen Teil würden wir bei einer ähnlichen Wiederholung des Kurses so belassen, wenngleich wir die Videos in kleinere Einheiten à 20-30 Minuten schneiden würden, um Teilstücke für die Studierenden leichter navigierbar zu machen.

Zweitens sollten die Studierenden ihr Verständnis in einem kurzen Multiple-Choice-Test über das Video überprüfen, der ihnen umgehend Feedback zu ihren Antworten gab. Dies würden wir unverändert lassen, zumal der Dozent hierdurch einen guten Überblick über gehäufte Schwächen im Verständnis bekam und dies in der Live-Session (s. Viertens) nutzen konnte.

Drittens sollten sie Anwendungsaufgaben, also Aufgaben, in denen das Erlernte in neuen Kontexten konkret angewendet werden musste, für die Live-Session vorbereiten. Dies würden wir in Zukunft in fest eingeteilten Gruppen statt solo organisieren, in denen sich die Studierenden mit einem oder einer selbstgewählten Leiter bzw. Leiterin gemeinsam mit den Aufgaben auseinandersetzen müssten.

Viertens sollten die Studierenden an der Live-Session teilnehmen, in der der Dozent auf die Schwächen in der Beantwortung der Multiple-Choice-Fragen (s. Zweitens) einging, die Anwendungsaufgaben (s. Drittens) auflöste und weitere Fragen beantwortete. Wir halten die wöchentliche Live-Session für unbedingt notwendig. Wir gehen künftig jedoch von einem, wenngleich sehr datenarmen und stabilen, Livestream mit Chat-Funktion auf eine Videokonferenzplattform über, mit der Möglichkeit für Studierende, bei Fragen ihre Kamera und ihr Mikro in einem stärker sozialen Austausch zu benutzen.

Fünftens sollten die Studierenden ein Aufgabenblatt mit SPSS selbstständig allein oder in Gruppen vorbereiten, bevor sie sechstens in einem virtuellen Tutorium die Auflösung gezeigt bekamen und weitere Fragen stellen konnten. Auch hier würden wir zu einer fest eingeteilten Gruppe wechseln und Bonuspunkte für korrekte Einreichungen vergeben.

Geringe Motivation zur Umsetzung der verzahnten Aktivitäten

Obwohl wir die Verzahnung der verschiedenen inhaltlichen und kompetenzorientierten Aktivitäten nach wie vor gut finden, scheint die große Mehrheit der Studierenden nicht motiviert gewesen zu sein, alle diese Aktivitäten tatsächlich umzusetzen. Von mehr als 300 Interessierten blieben circa 50 wirklich aktive Studierende während des Semesters übrig.

Man muss allerdings auch bedenken, dass auch in einem „normalen“ Semester nur eine Minderheit den Empfehlungen des Dozenten laut ihren eigenen Angaben folgt. In diesem Corona-Semester war nur das virtuelle Verhalten sichtbarer und messbarer.

Im Gegensatz zu dem geringen Aktivitätslevel vieler Studierender bei den wöchentlichen Aktivitäten nahmen viele Teilnehmer_innen an optionalen synchronen Online-Tests zu SPSS-Skills teil. Gleiches galt für die zwei Klausurversuche. Anders als bei den wöchentlichen Aktivitäten nahmen sehr viele Studierende an den Prüfungen teil, bei denen es um etwas ging, aber bei denen die Kosten des Nicht-Bestehens bei null waren.

Gegeben die Beobachtung, dass die meisten Studierenden während des Semesters nur mäßig aktiv waren, zugleich jedoch die Prüfversuche nutzten, scheinen viele Studierende den Weg des wenig vorzubereitenden „Probieren wir einfach einmal“ gewählt zu haben. Da die Schwierigkeit der Prüfung nicht abgemildert worden war, lieferte diese Strategie wenige bestandene Prüfungen.

Aus einem ineffizienten Kurs in die kontaktfreie Zukunft

In Summe war dieser Kurs wenig effizient: mit großem Engagement und vielen Beteiligten wurde ein durchdachter Kurs geschaffen, dessen Möglichkeiten von den Teilnehmenden letztendlich nicht angenommen wurden. Somit lieferte sehr großes Input an Ressourcen ein sehr geringes Output an bestandenen Prüfungen.

Die Lösung zu einer größeren Motivation scheint uns darin zu liegen, die Studierenden stärker virtuell in feste Arbeitsgruppen einzuteilen und der Arbeit dieser Gruppen durch geringe Bonuspunkte für die Endprüfung externe Anreize zu setzen. Je mehr normales soziales Miteinander in einem kontaktfreien Kurs, desto besser scheint dieser zu funktionieren.

 

Dieser Artikel ist Teil der Blogserie “Bausteine digitaler Hochschullehre in der Politikwissenschaft”.

Digitale Vermittlung von Schreibkompetenz

Dies ist ein Beitrag von Kathrin Loer (Hochschule Osnabrück).

Schreiben kann jeder, oder? So einfach ist es dann häufig doch nicht. Dabei gehört das Schreiben zu den Hauptaktivitäten im politikwissenschaftlichen Studium. Die Umstellung auf digitale Lehre ändert nichts Grundsätzliches daran, dass viele Studierende der Politikwissenschaft von systematischen Anleitungen und Unterstützungsformaten zum Schreiben profitieren, diese aber häufig fehlen. Über die digitale Lehre kann allerdings nach meiner Einschätzung Schreibkompetenz ideal vermittelt und der Schreibprozess begleitet werden.

Acht Schritte auf einem Entwicklungspfad lassen sich im Verlauf eines Semesters beschreiten. Dabei ist es möglich, die Vermittlung von Schreibkompetenz in diesen Etappen mit einem Seminar oder einer Vorlesung zu kombinieren oder aber eine eigene Veranstaltung zur Schreibkompetenz anzubieten. Der Pfadverlauf ergibt sich aus der individuellen Ermittlung des Unterstützungsbedarfs, der Planung und Organisation von Schreibaufgaben, über verschiedene Schreibübungen bis hin zur Erarbeitung von Fragestellungen, Gliederungen und der Erarbeitung erster (oder umfassender) Schreibprodukte (siehe Abbildung). Im Idealfall lässt sich nach einer solchen Lehrveranstaltung nicht nur eine verbesserte Schreibkompetenz aller Teilnehmer feststellen, sondern die Studierenden können die Früchte ihrer Arbeit auch sehr konkret für Haus- und Abschlussarbeiten nutzen.

Vorab sollte den Studierenden sehr plastisch das übergeordnete Ziel vermittelt werden: „Mehr, verständlich und präzise schreiben.“ Das bedeutet, dass mehr geschrieben werden sollte, und dass dabei Wege gefunden werden, damit es sich letztlich um verständliche und präzise Texte handelt. Wenn das in der Vermittlung gut gelingt, kann das Lust auf Sprache und schriftliche Kommunikation machen. Ein praktisches Ziel besteht darin, Schreiben als Routine zu etablieren, außerdem können die Einzelnen so ihre sprachlichen Ausdrucks- und Gestaltungsfähigkeiten steigern. Genau diese Aspekte sollten vorab herausgestellt werden. Zusätzlich gilt es, den Mehrwert für die spätere berufliche Praxis von Politikwissenschaftler:innen zu betonen, in der immer wieder Texte verfasst werden müssen.

Eine weitere Empfehlung: Wenn die Übungen mit einer konkreten Aufgabe aus dem Studium (Vorbereitung einer Hausarbeit oder Abschlussarbeit) verknüpft werden, erkennen die Studierenden ihren Vorteil unmittelbar. Aus diesem Grund umfasst der Pfad sowohl die Entwicklung einer politikwissenschaftlichen Fragestellung als auch die Strukturierung der Argumentation, um die eigene Darstellungs- und Analyseleistung letztlich gut erbringen zu können. Beim Durchlaufen des Pfades wechseln sich synchrone und asynchrone Elemente der digitalen Lehre ab. Wesentlich ist die Festlegung eines eindeutigen Zeitrahmens, den alle Teilnehmenden gemeinsam einhalten. Der Pfad zerlegt dann den Arbeitsprozess, in dessen Rahmen ein wissenschaftlicher Text produziert wird, in einzelne Schritte, damit die Aufgabe besser bewältigt und möglicherweise bestimmte Schwierigkeiten und Herausforderungen gezielter adressiert und bearbeitet werden können. Dazu dienen begleitende Informationen, die jeweils die nächste praktische Phase (Schreibübung 1, Schreibübung 2, Bearbeitung der politikwissenschaftlichen Aufgabe z.B. Hausarbeit) fundieren und anleiten.

Schreiben als „Handwerk“ lässt sich erlernen: Das sollte Studierenden vermittelt werden – gleichzeitig brauchen viele dazu eine gute Unterstützung. Das gemeinsame Absolvieren des Entwicklungspfades soll dazu dienen, dass Studierenden idealerweise Freude am Planen und Erfüllen ihrer Schreibaufgaben entwickeln. Wenn es gelingt, Schreibübungen produktiv in das Studium zu integrieren, dann lassen sich darüber Studierenden zum Training motivieren. Sie lernen, sich Ziele zu setzen für alles, was es an Schreibaufgaben gibt. Wesentlich ist es auch zu zeigen, dass Schreiben Zeit braucht und es kein Wettrennen darstellt. In der digitalen Lehre sollte dazu neben synchronen Vermittlungsformen (Online-Sitzungen) auch genügend Raum und Zeit für individuelle Klärungen geschaffen werden, was ebenfalls digital – sowohl synchron (Videochat, Telefon, Messenger) als auch asynchron (Email) – ideal machbar ist.

Dieser Artikel ist Teil der Blogserie “Bausteine digitaler Hochschullehre in der Politikwissenschaft”.

Politikwissenschaftliche Leseübungen in der Online-Lehre

Dies ist ein Beitrag von Matthias Freise (Universität Münster).

Dieses Blogbeitrag basiert auf meinem gleichnamigen Vortrag im Rahmen der Workshop-Reihe „Hochschullehre in Zeiten von Corona“ des AK Hochschullehre vom 15. April 2020.

Wie alle Geistes- und Sozialwissenschaften ist die Politikwissenschaft eine Lesedisziplin. Wer sich das Fach und seine Inhalte erschließen möchte, kommt um umfangreiche Lektürearbeit nicht herum. Das gilt nicht erst seit Einsetzen der Corona-Krise. Mit dem abrupten Ende der Präsenzlehre und der Umstellung auf Online-Formate hat der Anteil des Lektürestudiums aber vielerorts noch zugenommen. Lehrende entdeckten die Buchscanner und Lieferdienste ihrer Bibliotheken für sich und erstellten umfangreiche PDF-Reader ‒ vor dem geistigen Auge ihre Studierenden, die die Pandemie wie Spitzwegs Bücherwurm verbringen. In der Realität dürften viele Lernende durch erweiterte Leselisten allerdings eher abgeschreckt worden sein. Beispielhaft zeigt dies eine unveröffentlichte Studierendenbefragung der Universität Münster aus dem Corona-Semester, bei der sich fächerübergreifend eine Mehrheit der Studierenden über die deutlich ausgeweiteten Lektüreanforderungen beklagten und sie für nicht bewältigbar hielten. Es empfiehlt sich deshalb ein Blick in den Instrumentenkasten der hochschuldidaktischen Lehr- und Lernforschung, die einige Verfahren entwickelt hat, mit denen sich die Lesecompliance von Studierenden steigern lässt.

In meinem Artikel im Sammelband stelle ich fünf solcher Instrumente vor, die ich in meinen Seminaren an der Universität Münster während des Corona-Semesters erfolgreich getestet habe. Für diesen Blogbeitrag möchte ich beispielhaft des Instrument der Textpatenschaften vorstellen.

Im Mittelpunkt vieler politikwissenschaftlicher Lehrveranstaltungen stehen Institutionen oder politische Organisationen wie Parlamente, Regierungen, Parteien, NGOs oder soziale Bewegungen. In solchen Seminaren können Sie zu Beginn des Semesters Textpatenschaften vergeben. In meinem Kurs „Zivilgesellschaft in Deutschland“ habe ich im Corona-Semester beispielsweise allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgewählte Vereine, Stiftungen, Wohlfahrtsverbände, Interessenverbände, Genossenschaften und gemeinnützige Kapitalgesellschaften zugewiesen und die Studierenden gebeten, die gesamte Seminarliteratur stets dahingehend zu lesen, inwieweit sich die getroffenen Aussagen auf die eigene Patenorganisation anwenden lassen oder ob sie ein eher schlechtes Beispiel zur Illustration des Textes sind.

Ich habe die Studierenden außerdem gebeten, in Fällen, in denen ihre Patenorganisation besonders gut geeignet ist, diese im Videoseminar kurz vorzustellen und auf den Text zu beziehen. In Kursen bis zu 30 Studierenden habe ich in der Videokonferenz einen Ausdruck der Organisationspatenschaften vor mir liegen und bitte die Studierenden, sich zur Seminarlektüre zu äußern, indem ich sie direkt mit Namen anspreche. Auf diese Weise gelingt es mir, auch Studierende zu aktivieren, die sich sonst nicht am Seminar beteiligen und die man im Webinar teilweise noch schwerer aktivieren kann als im Präsenzseminar. Da alle wissen, dass sie im Laufe des Semesters mehrfach aufgerufen werden, steigert das die Lesedisziplin erheblich. Als Lehrperson muss ich mich allerdings darauf vorbereiten, dass einige Studierende im Webinar fehlen und in diesen Fällen improvisieren, indem ich andere aufrufe.

Textpatenschaften eignen sich auch gut für Breakout Sessions, bei denen die Studierenden thematisch nach ihren Patenorganisationen in Kleingruppen eingeteilt werden und dort eine Aufgabe bearbeiten. In oben genanntem Seminar habe ich die Studierenden beispielsweise gebeten, in Breakoutsessions zu eruieren, inwieweit ihre Organisationen die verschiedenen Funktionen bedienen, die die liberale Demokratietheorie der Zivilgesellschaft zuweist.

Übrigens können Sie den Studierenden auch anbieten, Textpatenschaften aus ihrer eigenen Lebenswelt zu übernehmen. Sind Studierende selbst Mitglied in einer Partei, Gewerkschaft oder NGO, können sie im Seminar plastisch von ihren eigenen Erfahrungen berichten.

Dieser Artikel ist Teil der Blogserie „Bausteine digitaler Hochschullehre in der Politikwissenschaft“.

Interaktive Elemente in der Online-Lehre – Ein kurzer Einblick

Dies ist ein Beitrag von Tina Rosner-Merker (Universität Magdeburg) und Patricia Konrad (Universität Hamburg).

Bis März 2020 stellten digitale Lehrveranstaltungen in Deutschland eher eine Ausnahme dar. Die COVID-19-Pandemie änderte die Rahmenbedingungen und in der Lehre beschäftige Personen sahen sich – gefühlt von jetzt auf gleich – mit der Thematik Online-Lehre konfrontiert. An dieser Stelle setzen wir mit unserem Sammelbandbeitrag zu digitaler Lehre an und fokussieren uns auf Interaktion als didaktisches Element. Unser Artikel im Sammelband bietet dabei eine kurze Auseinandersetzung mit Interaktion und unserer didaktischen Grundhaltung, einen Überblick über sechs konkrete Tools zur Integration interaktiver Elemente in die Online-Lehre sowie eine erste Orientierungshilfe zur Auswahl passender Tools. Wir sind dabei der Auffassung, dass Online-Lehre eine große Bandbreite an Interaktionsmöglichkeiten bietet und mit einfachen, niedrigschwelligen und zugleich oft wirkmächtigen Mitteln eine Verbesserung des Lernerfolgs erzielt werden kann

Alle in unserem Buchbeitrag vorgestellten Tools basieren auf einer lerner*innenorientierten Didaktik und beziehen sich insbesondere auf Seminare bzw. Übungsformate. Einzelne Elemente sind aber auch auf Vorlesungen übertragbar. Ein wiederkehrendes Element unserer Tools stellt dabei die Peergroup-Education dar. Insgesamt betrachten wir Online-Lehre als in vielen Aspekten unterscheidbar von Präsenzlehre, nehmen aber keine Zuschreibung im Sinne von „besser“ oder „schlechter“ vor.

Wir laden dazu ein, diejenigen Elemente und Tools zu identifizieren, die den gewünschten Zielen entsprechen, diese auszuprobieren und im Austausch mit den Studierenden einen gemeinsam zu beschreitenden Weg zu finden. Als exemplarisches Beispiel schildern wir in diesem Blogbeitrag das Tool der interaktiven Videos.

Ergänzend zu bekannteren Videoformaten wie Screencasts, annotierten Präsentationen oder aufgezeichneten Vorträgen bieten interaktive Videos eine Vielzahl an Möglichkeiten. Ihnen ist gemein, dass Studierende vom passiven Anschauen des Videos in einen aktiven Modus wechseln: Das heißt, dass ein Video nicht mehr ohne Unterbrechungen beziehungsweise linear abgespielt werden muss, sondern durch die aktive Reaktion der*des Studierenden individuell gesteuert wird. Nichtlineares Abspielen bedeutet, dass innerhalb des Videos sowohl vor und zurück, als auch zu unterschiedlichen Kapiteln gesprungen werden kann.

Dabei stehen unterschiedlichste Varianten der Ausgestaltung des interaktiven Videos zur Verfügung; beispielsweise können verschiedene Aufgaben wie Quizfragen oder Lückentexte integriert und weiterführende Informationen eingeblendet werden. So lassen sich z.B. Kontrollfragen zum Verständnis oder kleinere Aufgaben einfügen, bei denen Studierende zur Lösung auf ein vorab erklärtes Vorgehen zurückgreifen müssen. Zudem können zur leichteren Navigation innerhalb des Videos einzelne Kapitel angelegt werden. Auch spätere Veränderungen oder Entscheidungsoptionen, z.B. zur Vertiefung, lassen sich integrieren. Zudem ist je nach Editor variabel, ob interaktive Elemente optional oder zum Fortlaufen des Videos verpflichtend absolviert werden müssen. Anders als das interaktive Video vermuten lässt, muss die Lehrperson dabei keinesfalls über umfassende Kenntnisse der Videobearbeitung verfügen. Vielmehr stehen interaktive Videos allen Personen offen, die auch klassische Videos aufnehmen können.

Um diese technisch niedrigschwellige Umsetzung zu ermöglichen, kann beispielweise auf den h5p-Editor zurückgegriffen werden. Unter https://www.oncampus.de/weiterbildung/moocs/einstieg-in-h5p ist ein kostenloser und kompakter Massive Open Online Course (MOOC) verfügbar, der einen Einstieg in das generelle Thema interaktiver Online-Elemente auf h5p-Basis ermöglicht, aber auch interaktive Videos im Spezifischen thematisiert. Dieser Editor lässt sich – wenn nicht bereits verfügbar – direkt in Lernplattformen wie moodle oder ILIAS integrieren und ermöglicht die Videoerstellung in einem Schritt-für-Schritt-Prozess.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dieser Artikel ist Teil der Blogserie „Bausteine digitaler Hochschullehre in der Politikwissenschaft“.

Digitale Studien- und Prüfungsleistungen

Dies ist ein Beitrag von Kai-Uwe Schnapp (Universität Hamburg).

Hört man den Begriff Onlineprüfung, dann denkt man zunächst an stupide Single- oder Multiple-Choice-Fragen, mit denen allenfalls Faktenwissen geprüft werden kann. Klug eingesetzt können solche Tests jedoch sehr viel mehr sein und Lehr-Lern-Prozesse sinnvoll ergänzen. Das gilt vor allem dann, wenn eine solche Prüfung durch geeignete Frageinhalte und -formate die Studierenden zur Wissenserweiterung im Prüfungsprozess anregt. In diesem Sinne nutze ich Onlinetests auch, um Studierende etwa zur Auseinandersetzung mit ergänzender Literatur zu „drängen“ oder ihnen Webseiten nahe zu bringen, die für das Studium relevant sind. So gibt es zu einer Methodenvorlesung Fragen, die ohne Nutzung des Messinstrumentenrepositoriums der GESIS nicht beantwortet werden können, andere sind ohne den Griff zum Buch nicht beantwortbar. Das Ziel dieser Art von Fragen ist nicht die Abfrage des jeweiligen Wissens, sondern das Anregen zur Auseinandersetzung mit für das Studium wichtigen Quellen. Die Prüfungssituation wird dadurch explizit zur Fortsetzung des Lern- und Auseinandersetzungsprozesses genutzt.

Was macht eine gute Onlineprüfung als aus? Sie braucht Fragen, die 1) die Erreichung der gesetzten Lernziele prüfen, 2) unterschiedliche Denkstufen abdecken, 3) die gewünschten Arbeitsschritte, etwa den Besuch einer Webseite oder das Nachlesen in einem Text notwendig machen, 4) die technisch verfügbare Palette an Frageformaten ausnutzen, und 5) die Ressourcen zur Überprüfung der Antworten nicht überfordern. Eine gute didaktische Qualität wird erreicht, wenn Lehrende sich genau überlegen, was sie prüfen und daher fragen wollen. Sie müssen sich also über den abzufragenden Inhalt, den jeweils geeigneten Fragentyp und die zu erreichende Punktezahl Gedanken machen. Die einzelnen Fragen sollen möglichst unterschiedliche Schwierigkeitsgrade aufweisen, die Fragentypen sollen variieren. Idealerweise kooperieren Lehrende bei der Entwicklung solcher Tests.

Rechtlich sind Onlinetests nach wie vor ein unsicheres Terrain. Bei ihrer Nutzung sollte daher in jedem Falle die Rechtsinterpretation der eigenen Hochschule beachtet werden. Ein unbedingtes Muss ist die Einhaltung des auch sonst bei Prüfungen üblichen Vieraugenprinzips. Dies wird bei Onlinetests dadurch sichergestellt, dass Fragen, Antwortoptionen und richtige Antworten sowie die Punktvergaben von einer Lehrperson entworfen und dann von einer zweiten Person geprüft werden. Hier wird Kooperation der Lehrenden bei der Testentwicklung sogar rechtlich erzwungen.

Führen Studierende einer großen Studiengruppe, also etwa einer Vorlesung, Onlinetests ohne Aufsicht am heimischen PC/Laptop durch, stellt sich die Frage, wie die Autoreninnenschaft der Antworten gesichert werden kann. Der erste technische Schritt ist das randomisierte Vorlegen der Antwortoptionen einer Frage, die von den meisten Testsystemen unterstützt wird. Die einfache Weitergabe der Nummer der richtigen Antwortoption wird so unterbunden. Hat man einen großen Fragenpool, dann kann dieser genutzt werden, um vom Testsystem individuelle Tests zusammenstellen zu lassen, die für jede Studierende anders aussehen. Das einfache Abschreiben von „Musterlösungen“ wird so effektiv unterbunden. Und was kann man tun, wenn Studierende sich diesen Vorkehrungen zum Trotz bei der Bearbeitung der Tests wechselseitig beraten? Aus meiner Sicht stellt das vor allem dann kein Problem dar, wenn der Test als unbenotete Leistung vorgenommen wird. Versteht man Prüfen jetzt als Teil des Lernprozesses und nicht ausschließlich als „Assessment“, kann eine solche Kooperation m.E. sogar als produktiv angesehen werden.

Welche Ressourcen werden für die erfolgreiche Implementation von Onlinetests benötigt? Es bedarf eines E-Learning-Systems, das Onlinetests zur Verfügung stellt und das möglichst im Besitz der eigenen Hochschule ist. Idealerweise wird das System an der Hochschule bereits breit genutzt, das senkt die Hürden für die Studierenden. Für Lehrende senken sich die Hürden, wenn es erfahrene Kolleginnen oder eine gute Unterstützung durch E-Learning-Büros oder vergleichbare Einrichtungen gibt. In jedem Falle benötigt man für die Umsetzung von Onlinetests ausreichend Hilfskraftstunden. Die Zahl der benötigten Stunden sinkt bei der wiederholten Durchführung eines Tests, geht aber nicht auf Null. Jeder Durchlauf benötigt seine eigenen Personalressourcen.

So entwickelt und eingesetzt sind Onlinetests ein weiteres wertvolles Instrument im didaktischen Werkzeugkoffer. Die zu überwindenden technischen Hürden sind angesichts weit entwickelter E-Learning-Systeme heute nicht mehr groß. Das gilt umso mehr, wenn an der eigenen Hochschule ein Mindestmaß an technischer Unterstützung gegeben ist.

Dieser Artikel ist Teil der Blogserie „Bausteine digitaler Hochschullehre in der Politikwissenschaft“.

Lernprozesse durch integriertes Lernen fördern – asynchrone und synchrone Lehre verzahnen

Dies ist ein Beitrag von Daniel Lambach (Universität Frankfurt am Main) und Caroline Kärger (HAW Hamburg).

Wenn Lehrveranstaltungen in ein Onlineformat umgewandelt werden müssen, ist die erste Idee vielleicht die sonst in Präsenz stattfindende Vorlesung oder das Seminar einfach 1:1 als synchrone Onlineveranstaltung anzubieten. Dieser Gedanke liegt nahe und ist nachvollziehbar, stellt aber nicht unbedingt die optimale Lösung dar. Im Vergleich zu klassischen Präsenzformaten ist es in synchronen Onlineformaten schwieriger eine Gesprächsdynamik zu erzeugen, es kann technische Probleme und Zugangshürden geben, man hat weniger Gefühl für die Stimmung im Raum, Studierende lassen sich am Computer leichter ablenken und haben ggf. das Gefühl in ihrem Lernen allein zu sein. Wir plädieren deshalb dafür sich auf die veränderten Möglichkeiten einzustellen, die Chancen des asynchronen Lernens zu ergreifen sowie asynchrone und synchrone Anteile als Teil eines integrierten Lernprozesses zu begreifen.

Die Inspiration für diese Überlegungen stammt aus unserer Beschäftigung mit dem Flipped Classroom (FC). Um in Lehrveranstaltungen Freiraum für aktives Lernen zu schaffen, wird die übliche Lernreihenfolge umgekehrt: In „klassischen“ Präsenzlehrformaten vermittelt die Lehrperson den Studierenden Grundlagenwissen, das die Studierenden danach eigenständig nachbereiten und anwenden sollen. Im FC erarbeiten sich die Studierenden zunächst die Grundkenntnisse selbst, die dann unter Anleitung der Lehrperson angewandt und vertieft werden.

Der FC ist nicht für die reine Online-Lehre konzipiert worden. Dennoch kann man daraus einige Ratschläge dafür ableiten:

  • Klären Sie die Kompetenz-/Lernziele der Lehrveranstaltung: Was sollen die Studierenden am Ende der Lehrveranstaltung können und wissen?
  • Überlegen Sie sich, mit welchen Lehr-Lern-Aktivitäten Sie diese Ziele am besten verfolgen können und wo Studierende am ehesten Begleitung und Unterstützung durch die Lehrperson und/oder Mitstudierende brauchen: Was benötigen die Studierenden, damit sie sich Wissen und Kompetenzen aneignen können?
  • Aktives Lernen kommt vor passivem Lernen.
  • Aktivitäten brauchen Feedback.

Für die Planung von digitaler Lehre ist es zunächst wichtig die beiden Phasen des synchronen („gleichzeitigen“) und asynchronen („zeitversetzten“) Lernens unterscheiden. Mit synchronem Lernen bezeichnet man Phasen, in denen Lehrpersonen und Lernende direkt miteinander interagieren, z.B. über Video-/Webkonferenzen oder Chatrooms. Asynchrones Lernen bedeutet, dass Lernende Material  nutzen, das die Lehrpersonen vorab bereit gestellt haben, oder sich in zeitversetztem Austausch mit Lehrenden und anderen Lernenden befinden (z.B. über Foren). Synchrone und asynchrone Anteile sollten Aspekte eines integrierten Lernprozesses sein, d.h. wie ineinander greifende Zahnräder funktionieren, die das kontinuierliche und gesamtheitliche Lernen der Studierenden unterstützen. Dabei sollten möglichst alle Phasen dieses Prozesses in derselben Lernplattform (z.B. Moodle oder Ilias) abgebildet und nicht über verschiedene Dienste verteilt werden, um die Arbeit für Lehrpersonen und Studierende möglichst reibungsfrei zu gestalten.

Mit dieser Unterscheidung im Hinterkopf können die für die gesamte Lehrveranstaltung definierten Kompetenzziele dann so auf synchrone und asynchrone Phasen verteilt werden, dass die spezifischen Stärken dieser Phasen optimal genutzt werden. Dafür bietet sich die Planung einer Lehrveranstaltung mittels Constructive Alignment an. Dieses Prinzip geht davon aus, dass Lernprozesse wirksam gestaltet werden können, indem man die Kompetenzziele, die Lehr- und Lernaktivitäten sowie die Prüfungsformen aufeinander abstimmt. Besteht ein Kompetenzziel einer Veranstaltung z.B. in der Fähigkeit zum wissenschaftlichen Schreiben, sollten die Aktivitäten das Schreiben, Analysieren und Kritisieren von Texten beinhalten und die Prüfung ein entsprechendes schriftliches Format haben.

Die Verteilung auf synchrone und asynchrone Phasen sollte sich dabei auch an der Frage orientieren, welche Ziele die Studierenden alleine erreichen können und wobei sie am ehesten den Austausch mit der Lehrperson und ihren Mitstudierenden brauchen. Oft dient die asynchrone Phase als Vorbereitung für die synchrone Phase (siehe Abbildung), sie kann aber auch Kontroversen anregen und Irritationen erzeugen, die in der synchronen Phase diskutiert werden sollen.

Wichtig ist dabei, jede Lerneinheit und jede Lernphase als Teil eines integrierten Lernprozesses zu verstehen. So eröffnen wir den Studierenden eine „nahtlose“ Lernerfahrung, lassen sie nicht allein im digitalen Lernen und können als Lehrpersonen wieder mehr in den Dialog einsteigen und ein Gefühl dafür bekommen, wo unsere Studierenden stehen (z.B. indem wie die Rückmeldungen der Studierenden zu den Aktivitäten der asynchronen Phase in der synchronen Phase im Plenum aufgreifen) und was sie brauchen. Manchen Herausforderungen des Online-Lernens kann durch diese Gedanken integrierter Lernprozesse begegnet werden. Insofern verstehen wir diesen Gedanken als Impuls, um Online-Formate nicht nur für Ihre Studierenden, sondern auch für Sie als Lehrperson angenehmer und wertvoller zu machen.

Dieser Artikel ist Teil der Blogserie „Bausteine digitaler Hochschullehre in der Politikwissenschaft“.

Lehre in der Krise: von Null auf Hundert, von Präsenz auf digital

Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Oliver Schwarz (Universität Duisburg-Essen). Der Beitrag entstand im Rahmen der Qualitätskonferenz zum Thema „Lehre in der Krise – Umgang mit Ungleichheiten und Effizienz“ am 24. Juni 2020 an der dortigen Fakultät für Gesellschaftswissenschaften.

 

Für mich persönlich begann das Corona-Semester passenderweise im März 2020 an einem Freitag, den 13. Eigentlich war ich für ein abendliches Kamingespräch zum Thema „Europa und soziale Demokratie“ eingeladen. Das Seminar wurde am frühen Morgen abgesagt. Wenig später erreichte mich die Absage einer zweitägigen Fortbildung, die ich in der nachfolgenden Woche absolvieren wollte. In ganz Deutschland und weltweit überschlugen sich die Ereignisse. Der öffentliche Diskurs kannte nur noch ein Wort: Corona. Bestand ursprünglich noch die Hoffnung, im Verlauf des Semesters möglicherweise wieder zu einer Art von Normalität zurückkehren zu können, so wurde in der Zwischenzeit sehr schnell klar: keine Chance.

Angesichts des gebotenen Verbots der Präsenzlehre machte ich mich für meine Lehrveranstaltungen im Sommersemester daran, die gängigen Videokonferenzdienste auf dem Markt zu testen. Meine ersten Versuche über den Konferenzdienst im Deutschen Forschungsnetz (Dienst DFNconf) waren leider katastrophal. Das Bild hing, der Ton versackte. Ich musste die Sitzung abbrechen. Schnell schwenkte ich daher in der Lehre auf das frisch von meiner Universität angebotene BigBlueButton um. Später kam noch Zoom hinzu. Der US-amerikanische Videokonferenzdienst wurde insbesondere bei dienstlichen Terminen genutzt. Meine wöchentlichen Sprechstunden begann ich über Skype abzuhalten. Während ich mich bei Moodle bereits wie zuhause fühlte, stellte mich das Produzieren und die Bereitstellung von digitalen Lehrmaterialien vor neue Herausforderungen. Doch dazu später mehr.

Das digitale Sommersemester ist noch nicht ganz vorbei und doch geht der Blick schon wieder nach vorne. Wie geht es weiter im Wintersemester? Was passiert mit all den neuen digitalen Elementen in Studium und Lehre? Basierend auf meinen persönlichen Erfahrungen in den vergangenen Wochen hierzu ein paar Überlegungen.

Zunächst ist es angebracht, uns allen selbst einmal anerkennend auf die Schulter zu klopfen. In diesem Semester gab es nicht viel Zeit zum Nachdenken. Wir mussten einfach loslegen, parallel zur kompletten Umstrukturierung auch unseres Privatlebens. Das war anstrengend und Kräfte zehrend, aber vielleicht eben auch ein Vorteil und rückblickend irgendwie auch sehr erfolgreich. Ich jedenfalls bin nach wie vor sehr positiv angetan davon, wie professionell unser Krisenmanagement war und wie schnell sich alle, sowohl Studierende als auch Lehrende und Hochschulverwaltung, in das „neue Normal“ eingefügt haben.

Für mich persönlich wurde Corona zum Sprungbrett in die digitale Lehre. Ich bin nun seit 16 Jahren in der politikwissenschaftlichen Hochschullehre aktiv und von einigen digitalen Ausflügen abgesehen, stand bei mir immer die klassische Präsenzlehre im Vordergrund. Der direkte Austausch mit meinen Studierenden, aber auch mit meinen Kolleginnen und Kollegen war mir wichtig und ist es immer noch. Doch nun organisiere ich diesen Austausch eben per Videokonferenzdienst, erstelle ich für meine Lehrveranstaltungen nahezu täglich ein oder gleich mehrere Lehrvideos und mein Büro sieht mehr und mehr aus wie ein Aufnahmestudio.

Und damit sind wir bei einem Punkt: dem Finanziellen. Um meine Lehre in diesem Semester vernünftig durchführen zu können, war eine Reihe technischer Anschaffungen notwendig: Headset, Mikrofon, Digitalkamera, Stativ usw. Ich konnte mir all diese Dinge dankenswerterweise durch ein von mir koordiniertes, lehrbezogenes Drittmittelprojekt leisten. Das ist aber sicherlich nicht bei jedem der Fall. Unabhängig von den richtigerweise vielerorts eingerichteten Notfallfonds wäre es daher wünschenswert, dass für dieses zusätzlich notwendige Arbeitsmaterial grundsätzlich auch finanzielle Mittel von Seiten der Universität möglichst niedrigschwellig zur Verfügung stünden.

Doch die Umstellung durch das digitale Semester ist ja nicht nur rein technischer Natur, es geht auch um digitale Soft Skills wie zum Beispiel die Frage nach der Aktivierung der Studierenden. Ich selbst habe in diesem Semester den Weg der asynchronen Lehrorganisation beschritten. Sowohl die studentischen Referate als auch mein Input werden hierbei jeweils im Videoformat über Moodle geteilt. Selten habe ich im Übrigen so fokussierte und qualitative hochwertige Beiträge von Studierenden erlebt wie in diesem Semester. Gleichzeitig musste ich bei einigen meiner Kurse jedoch feststellen, dass Zusatzangebote nur in sehr begrenzten Umfang genutzt worden sind oder dass ein Austausch im Forum so gut wie überhaupt nicht zustande kam. War bei mir in diesem Semester also vor allem das Medienzentrum meiner Hochschule gefragt, so wünsche ich mir in mittelbarer Zukunft vor allem eine stärkere didaktische Begleitung meiner Lehre in Sachen Lernen auf Distanz.

Darüber hinaus hoffe ich, dass der Lehre zukünftig insgesamt ein höherer Stellenwert eingeräumt wird – unabhängig davon, ob sie nun klassisch in Präsenzform oder eben digital durchgeführt wird. Bei uns am Institut gibt es beispielsweise eine Auszeichnung für die beste Fachpublikation eines Young Scholars. Warum haben wir nichts Entsprechendes für die Lehre, keine Auszeichnung für die Dozentin oder den Dozenten des Semesters? Ja, wir haben lehrbezogene Auszeichnungen auf Universitätsebene. Aber Hand aufs Herz: Zählt man nicht zu den MINT-Fächern, ist es sehr unwahrscheinlich, hier zu den Glücklichen zu gehören.

Kurzum: Alles super im digitalen Semester aus Dozierendensicht? Nicht ganz. Ich persönlich kann aktuell noch überhaupt nicht einschätzen, wie gut ich meine Studierenden in diesem Semester tatsächlich erreicht habe, wie konsequent sie in dieser permanenten Ausnahmesituation ihrem Studium nachgehen konnten und wie erfolgreich ich letztlich bei der Vermittlung von Kompetenzen gewesen bin. Selten zuvor waren mir die Ergebnisse meiner studentischen Lehrveranstaltungsbewertungen daher so wichtig wie in diesem Semester. Auch auf die noch ausstehenden Prüfungsleistungen meiner Studierenden warte ich mit Hochspannung. Durch das plötzliche Umstellen von Null auf Hundert, von Präsenz auf digital habe ich in diesem Sommer deutlich mehr in meine Lehre investiert als unter Normalbedingungen. Es wäre schön, wenn sich diese Investition am Ende des Semesters auch auszahlen würde.

Was ich mir darüber hinaus, also neben einer didaktischen Begleitung, einer finanziellen Unterstützung sowie einer institutionellen Anerkennung der Lehre, wünsche, ist Flexibilität. Niemand weiß, wie sich diese Corona-Pandemie entwickeln wird. Uns Lehrenden sollte daher die in diesem Semester eingeräumte Freiheit auch weiterhin zugestanden werden. Das betrifft nicht nur die Ausgestaltung unserer Lehrtätigkeit, sondern allgemein die Ausgestaltung unserer Arbeitszeit an der Hochschule. Ob nun persönlich vor Ort oder digital präsent, das sollte eigentlich überhaupt kein Gegensatz sein. Das sollte sich einander ergänzen. Wenn wir das verinnerlichen könnten, dann wären wir in der Post-Corona-Zeit nicht nur wieder da, wo wir im Wintersemester 2019/20 einmal waren, sondern meiner Ansicht nach wirklich einen Riesenschritt weiter.