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Tod der Reputationsasymmetrie! Wie stärken wir den Stellenwert von Lehre in Berufungsverfahren? Ein Meinungsbeitrag von Daniel Lambach

In der Politikwissenschaft wie auch in anderen Fächern ist man sich in professionspolitischen Fensterreden schnell einig, dass Leistungen in der Lehre mehr gewürdigt werden sollten. Karrieren werden zu oft noch (nahezu) ausschließlich auf Forschungsleistungen aufgebaut, während Erfolge und Erfahrungen in der Lehre nur wenig beim Vorankommen in der Wissenschaft helfen, obwohl diese beiden Felder im Sinne des Maxims Forschung und Lehre gleichberechtigt sein sollten. Diese „Reputationsasymmetrie“ wird über verschiedene Mechanismen aufrechterhalten, vor allem über Einstellungs- und Berufungsverfahren.

Ein Grundproblem dabei ist, dass Lehrleistungen stärker dichotom bewertet werden als Forschungsleistungen. Während bei letzteren eher gilt „je mehr und je mehr Ansehen desto besser“ wird Lehre eher als „ausreichend oder nicht ausreichend?“ bewertet. Spitzenleistungen in der Lehre erhalten damit keinen angemessenen Bonus gegenüber bloß adäquaten Leistungen. Wer lange Zeit mit hohem Deputat lehrt, Lehrpreise bekommt, Förderung für Lehrprojekte einwirbt, über Lehre publiziert, sich um seine Studierenden kümmert, wird nur geringfügig besser bewertet als solche Mitbewerber/innen, die in der Lehre gerade so das Nötigste getan haben.

Anekdotenhafte Evidenz zu dieser Annahme kann sicher jeder und jede beitragen, der/die schon einmal in einer Berufungskommission war. Unterstützt wird dies auch von den Ergebnissen einer jüngst veröffentlichten Studie zur Gewichtung von Auswahlkriterien in Berufungsverfahren:

„Die Ergebnisse […] zeigen, dass die Berufungskommissionsvorsitzenden von Universitäten im Vergleich zu ihren Fachhochschulkollegen die Relevanz forschungsbezogener Kriterien (wissenschaftliche Publikationen, durchgeführte Forschungsprojekte, eingeworbene Drittmittel, die Mitwirkung in der Scientific Community über die Tätigkeit als Vorstand einer Fachgesellschaft oder als Herausgeber von Fachzeitschriften sowie das Forschungskonzept bzw. geplante Forschungsprojekte und der Fachvortrag im Berufungsverfahren) für die Listenentscheidung in Berufungsverfahren überdurchschnittlich häufig betonen. Auf der anderen Seite akzentuieren sie überproportional häufig die geringe Relevanz von lehrbezogenen Kriterien (Lehrerfahrung bezüglich Veranstaltungen, Prüfungen und der Betreuung von Abschlussarbeiten; Lehrevaluationsergebnisse; das Lehrkonzept; schließlich der Lehrvortrag im Berufungsverfahren […]).“ (Kleimann/Hückstädt 2018: 39)

Um hier eine Veränderung zu bewirken, müssen wir also darüber sprechen, wie Lehre in derartigen Verfahren systematisch und fair höher bewertet werden kann als bisher. Dafür gibt es verschiedene Methoden, von denen manche bereits in Auswahlverfahren eingesetzt werden, z.B. Lehrproben oder die Einreichung von Lehrevaluationen. Allerdings gehen hier die Standards weit auseinander und manche dieser Instrumente sind nicht unbedingt valide Indikatoren für Lehrkompetenz. Welche Kriterien können Berufungskommissionen also heranziehen?

 

Lehrzertifikate

Für Stellen mit einem normalen Deputat sollte die Absolvierung didaktischer Qualifizierungsmaßnahmen eine absolute Muss-Bedingung sein. Dafür gibt es zwischen den Bundesländer variierende, aber insgesamt vergleichbare Zertifikate, die man in der Qualifikationsphase berufsbegleitend erwerben kann. Allermindestens sollte man den Berufenen abverlangen, ein noch nicht erworbenes Zertifikat innerhalb von 1-2 Jahren zu beenden.

 

Lehrqualität

Lehrqualität ist nur sehr schwer zu bewerten. Hier greifen viele Kommissionen auf die standardisierten Lehrevaluationen zurück, welche an den meisten Instituten regelmäßig durchgeführt werden. Dass diese Evaluationen aber methodisch fragwürdig sind und ihre Ergebnisse systematisch Frauen und Minderheiten benachteiligen, ist aber inzwischen gründlich bewiesen. Daher sollten Evaluationen entweder gar nicht oder nur mit der geboteten Vorsicht und als Teil eines mehrdimensionalen Assessments der Lehrqualität herangezogen werden.

Stattdessen kann man Bewerber/innen bitten, unter ihren Referenzen auch eine teaching reference anzugeben, die etwas zu den Lehrleistungen sagen kann. Dies ist in den USA durchaus gängig und würde bei uns u.a. dazu beitragen, dass sich Vorgesetzte für die Lehre ihrer Mitarbeiter/innen interessieren müssen, wenn sie deren Fortkommen in der Wissenschaft unterstützen wollen.

Außerdem könnte man ernsthafte Lehrproben einführen. Zu oft sind Lehrproben in Berufungsverfahren nur Kurzvorträge ohne Aussprache über die Didaktik, sondern über den Lehrinhalt, und damit eigentlich zweite Forschungsvorträge. Stattdessen sollte man realistische Settings organisieren (z.B. eine halbe Seminarsitzung von 45 Minuten vor echten Studierenden) und von den BewerberInnen vorab ein schriftliches Lehrkonzept einfordern.

 

Lehrkonzepte

Manche Kommissionen verlangen von Bewerber/innen entweder bei der Erstbewerbung oder nach Einladung zum Berufungsvortrag Lehrkonzepte ein. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings fehlt es hier zuweilen an der nötigen Kompetenz zur Bewertung der eingereichten Lehrportfolios. Diese sollten anhand eines klaren Kriterienkatalogs zu Lehrerfahrungen, Lehrphilosophie, didaktischer Qualifikation, geplanten Lehrangeboten sowie Diversitäts- und Genderkompetenz ausgewertet werden. Eventuell kann man zur Erstellung eines entsprechenden Katalogs Unterstützung seitens der örtlichen hochschuldidaktischen Qualifikationsstelle einholen.

 

Lehrquantität

Auch die Quantität der bisherigen Lehrerfahrung sollte in die Bewertung einfließen. Wie viel Erfahrung haben die Kandidat/innen insgesamt? Wie gut passen die bisher gelehrten Themen und Veranstaltungsformen zu denen, die im neuen Job gebraucht werden? Die Lehrerfahrung sollte auch im Kontext mit anderen Kriterien gesehen werden: wer sich von einer Ratsstelle mit hohem Deputat  (12-16 SWS) bewirbt, wird sicher einen geringeren Forschungsoutput haben als Mitarbeiter/innen eines reinen Forschungsinstituts, die gelegentlich einzelne Lehraufträge wahrnehmen. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil der „Sprung“ auf 9 SWS Lehre (oder noch mehr bei FHs) in Kombination mit der entsprechenden Gremienarbeit bei lehrunerfahrenen Spitzenwissenschaftler/innen oft einen Praxisschock erzeugt, der ihre forscherische Leistungsfähigkeit mehrere Jahre beeinträchtigt.

 

Besondere Lehrleistungen

Nicht zuletzt sollten auch besondere Lehrleistungen in der Bewertung der Lehrqualifikation berücksichtigt werden. Dazu gehören natürlich Lehrpreise, die ein guter Indikator für hohe Lehrqualität sind. Aber Vorsicht – nicht jede Hochschule bzw. Fakultät verleiht überhaupt Lehrpreise, so dass nicht alle Bewerber/innen hierzu überhaupt eine Chance haben. Hinzu kommt auch die Drittmitteleinwerbung für Lehrprojekte. Dieser Bereich wird mit dem für 2021 oder 2022 geplanten Start der sogenannten Organisationseinheit für „Innovationen in der Lehre“ (vulgo: Deutsche Lehr-Gemeinschaft) einen deutlichen Schub bekommen. Und nicht zuletzt kann man auch Publikationen über die Lehre heranziehen, die wir in diesem Blog schon oft als Mittel zur Kommunikation und Qualifikation gewürdigt haben.

Während diese drei Kriterien – Preise, Projekte, Publikationen – sich an „klassischen“ Statusmarkern wissenschaftlicher Arbeit orientieren, können besondere Lehrleistungen aber auch in anderer Weise erbracht werden, z.B. durch die Organisation besonderer Lehrveranstaltungen (Simulationen, Exkursionen etc.), die über das normale Curriculum hinausgehen. Auch ein besonderes Engagement in der Betreuung von Studierenden kann Ausdruck hohen Engagements sein. Diese Arten besonderer Lehrleistungen können im Rahmen des Lehrkonzepts dargelegt werden.

 

Quelle:

Kleimann, Bernd / Hückstädt, Malte (2018): Auswahlkriterien in Berufungsverfahren: Universitäten und Fachhochschulen im Vergleich. In: Beiträge zur Hochschulforschung 40:2, 20-46.