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Was ist der Inverted Classroom?

Über den Inverted Classroom hatte ich voriges Jahr schon einmal was für den Blog unseres Prorektors für Studium und Lehre geschrieben, das ich der Erläuterung halber nochmal reposte:

Die Vorlesung ist ein traditionsreiches Lehrformat, für die es in Zeiten der Massenuniversität wichtige kapazitäre Gründe gibt. Aber lernen die ZuhörerInnen in solchen Vorlesungen auch das, was die DozentInnen bezwecken? Die Lehr-Lernforschung ist hier skeptisch. Für bestimmte Zwecke ist eine Vorlesung ein gutes Format, z.B. um die Lektüre zu ergänzen und Problemlösungpfade exemplarisch zu demonstrieren. Anspruchsvollere Lernziele sind damit jedoch nicht zu erreichen.

Beim Inverted Classroom wird – wie es der Name andeutet – die übliche Struktur der Vorlesung umgedreht. Klassisch bereiten sich die Studierenden eigenständig über die Lektüre von einführenden Texten auf die Sitzung vor, wo der Lehrvortrag die Lektüre ergänzt und vertieft. Im Inverted Classroom erfolgt das passive Lernen dagegen außerhalb des Vorlesungssaals, indem Studierende kurze Videovorlesungen ansehen, die durch ergänzendes Material und Übungsfragen begleitet werden. In der Präsenzsitzung setzen sich die Studierenden dann eigenständig mit dem Thema auseinander und werden dabei von der Lehrperson unterstützt.

Der Inverted Classroom wird bislang vorrangig in den Natur- und Wirtschaftswissenschaften eingesetzt. Eine Vielzahl von Studien hat seine höhere Wirksamkeit im Vergleich zum klassischen Lehrvortrag bewiesen, sowohl bei kleinen Studierendengruppen als auch in Massenveranstaltungen. Erstens wird das klassische „Aufmerksamkeitsproblem“ der Vorlesung gelöst – die Studierenden werden von ZuhörerInnen zu TeilnehmerInnen des Kurses. Zweitens werden die Studierenden durch die Bearbeitung von Übungs- und Testfragen zur Abstraktion und zum Transfer des erworbenen Wissens aufgefordert und erhalten auf diese Aufgaben ein unmittelbares Feedback. Drittens bleibt angewandtes Wissen länger und besser haften als lediglich passiv rezipiertes Wissen. Angesichts dieser Vorzüge überrascht es nicht, dass Studierende in Evaluationen den Inverted Classroom dem klassischen Vorlesungsformat vorziehen und mehr Zeit für die Vorbereitung auf eine Präsenzsitzung verwenden als TeilnehmerInnen einer normalen Vorlesung.

Das Format soll erstmals im Wintersemester 2014/15 in der Vorlesung „Internationale Beziehungen und Global Governance“ zum Einsatz kommen. Dabei bestehen die Präsenzphasen aus zwei Abschnitten: Im ersten Teil werden diejenigen Aspekte aus dem Vorbereitungsmaterial wiederholt, bei deren Bearbeitung die Studierenden die meisten Schwierigkeiten hatten. Der zweite, längere Abschnitt dient der Anwendung der erworbenen Kenntnisse auf konkrete Fallbeispiele. Die Fallbeispiele werden durch kurze Lehrvorträge und zusätzliche Primär- (z.B. UNO-Resolutionen, biografische Berichte von Beteiligten) oder Sekundärquellen (z.B. Medienberichte) ergänzt. Danach werden in Gruppen von 3-4 Personen Fragen beantwortet, die Transferkompetenz (z.B. „Verhielt sich Michael Gorbatschow bei den Abrüstungsverhandlungen von Rejkjavik gemäß einer liberalen Interpretation internationaler Politik?“) und Kritikfähigkeit testen (z.B. „Welche Dynamik des Kalten Krieges kann keine Theorie der Internationalen Beziehungen zufriedenstellend erklären?“), aber auch die Entwicklung eigener Positionen („Bewerten Sie die Relevanz der Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert angesichts der Multipolarisierung der Welt!“) erfordern. Antworten werden über ein elektronisches Abstimmungssystem gesammelt oder durch SprecherInnen der einzelnen Arbeitsgruppen im Plenum vorgestellt.

Auf diese Weise sollen die TeilnehmerInnen diejenigen Kompetenzen entwickeln, die vollwertige SozialwissenschaftlerInnen benötigen: die Synthese unterschiedlicher Materialien, der Transfer von Kenntnissen in neue Kontexte, die Fähigkeit zur Kritik theoretischer Positionen sowie die Entwicklung und Begründung eigener Standpunkte. All dies sind Lernziele, die im klassischen Vorlesungsformat nur dann erreicht werden, wenn Studierende dies auf eigene Faust außerhalb der Sitzungen einüben. Ohne Anleitung fehlt ihnen jedoch oft die Orientierung und die Motivation. Daher ändert sich im Inverted Classroom auch die Rolle des oder der Lehrenden. Statt dem „Weisen auf der Bühne“ ist er oder sie in diesem Modell InitiatorIn und BegleiterIn der individuellen Sinngebungs- und Lernprozesse der Studierenden.

Beim ersten Einsatz im Wintersemester 2014/15 wird die Wirkung der didaktischen Neukonzeption in mehreren Schritten evaluiert. Wenn sich das Modell bewährt, sollen die daraus gewonnen Erfahrungen auch anderen Lehrenden hochschulintern zur Verfügung gestellt werden.

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