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So weit, so gut

Nach zwei stressigen Wochen komme ich endlich wieder dazu, meine Erfahrungen mit dem Inverted Classroom aufzuschreiben. Inzwischen sind die ersten vier Einheiten hinter uns und allmählich gewöhnen sich die Studierenden und ich an das Format.

Rein subjektiv kann ich sagen, dass ich mich damit – nach anfänglicher Nervosität – wohl fühle und eine invertierte Präsenzsitzung mehr Spaß macht als ein reiner Lehrvortrag. Das bedeutet nicht, dass ich Vorlesungen nicht auch mochte, im Gegenteil – aus Lehrendensicht fand ich die immer reizvoll und habe das Format auch gut genutzt, wie mir die Teilnehmer_innen in Evaluationen immer wieder bestätigten. Was mich aber dabei immer gestört hatte, war die Beobachtung, dass selbst gute und motivierte Studierende beim reinen Zuhören mehr und mehr abdrifteten.

Das ist beim Inverted Classroom völlig anders. Während der Übungsphasen gehe ich unter den Studierenden umher (nicht ganz einfach, dank fester Bestuhlung im Hörsaal) und höre ihren Diskussionen zu oder beantworte Fragen. In diesen Phasen sind (fast) alle dabei und das macht mir dann auch mehr Freude.

Ein paar Dinge muss ich aber weiterhin lernen. In zwei Sitzungen hatte ich etwas zu viel an Inhalt geplant, so dass ich jeweils spontan entscheiden musste, was ich noch behandeln möchte. Beim ersten Mal habe ich ausgerechnet auf ein Fazit verzichtet, das für die Ergebnissicherung sehr hilfreich gewesen wäre. Bei der Sitzung am letzten Freitag ist mir das besser gelungen, da habe ich eine Übung und einen kurzen Lehrvortrag ausgelassen, nachdem ich merkte, dass wir diese Themen bereits erschöpft hatten.

Das bestätigt aber etwas, was ich über den Inverted Classroom gelesen hatte: Man gibt die Kontrolle über die Gestaltung der Sitzung ein Stück weit ab. Zum Beispiel haben die Studierenden in der letzten Sitzung ein iteriertes Gefangenendilemma gespielt, damit wir über Kooperation unter Bedingungen der Anarchie sprechen können. Beim einmaligen Spielen des Dilemmas ergab sich wie erwartet eine starke Mehrheit, die nicht kooperierte. Beim iterierten Spiel über drei Runden fielen die Ergebnisse anders aus als es die Forschung nahelegt: Die Kooperationsquote nahm mit jeder Runde zu! Das erforderte eine ausgiebigere Diskussion über die getroffenen Entscheidungen und was eine optimale Strategie darstellt. Bis wir bei „tit-for-tat“ angekommen waren, war etwas mehr Zeit ins Land gegangen als geplant.

Die Studierenden sind weiterhin formidabel. Sie beteiligen sich hervorragend an allen Aktivitäten und erscheinen augenscheinlich gut vorbereitet zu den Sitzungen. Sie kommen pünktlich und nur ganz selten verlässt jemand vor dem Ende den Hörsaal. Man merkt auch bei ihnen einen Gewöhnungseffekt – in den ersten Wochen herrschte noch mehr Unsicherheit darüber, welche Erwartungen sie zu erfüllen hätten.

In einer Übung hatte ich die Teilnehmer_innen aufgefordert, eine eigene Institution zur Rüstungskontrolle zu entwerfen. Das hat super funktioniert, weil sie daran nochmal diskutieren konnten, a) welche relativen Vorzüge Organisationen, Regime und Netzwerke als Institutionen haben, und b) wie wahrscheinlich das Zustandekommen dieser Optionen ist. Danach habe ich das mit einem kurzen Lehrvortrag zum Partiellen Teststoppvertrag als Beispiel für eine solche Institution ergänzt, die funktioniert obwohl sie wenig Durchsetzungsmöglichkeiten besitzt.

Die Teilnehmerzahl scheint sich jetzt zu stabilisieren. Nachdem sie sich in den ersten drei Sitzungen von 85 auf 42 halbiert hatte, waren heute 50 Student_innen anwesend. Von den Anwesenden beteiligen sich im Schnitt ca. 60% an den PINGO-Befragungen. Das könnten gerne noch mehr sein, aber da ich auf BYOD (Bring Your Own Device) setze, bin ich natürlich davon abhängig, wie viele Studierende ein Smartphone, Tablet oder Notebook dabeihaben.

Mit dieser Teilmehmer_innenzahl würde sich die aktuelle Veranstaltung auf demselben Niveau bewegen wie in den vorigen Jahren, als sie jeweils als reguläre Vorlesung angeboten wurde – obwohl die Vorlesung momentan zu einer unattraktiveren Zeit stattfindet (Freitag mittags). Mal sehen wie es damit weitergeht. Ich bin jedenfalls guter Dinge.

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