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Politisch sensible normative Fragen diskutieren – aber wie? Guest lectures zu Frauenrechten, feministischer Theorie und der Gender Gap in Tansania

Dieser Beitrag von Dannica Fleuß ist Teil der Blogserie “Hochschullehre in der Politischen Theorie und Ideengeschichte”.

 

Ziele der Lectures im Dezember 2018

Eine zentrale Funktion politiktheoretischen Nachdenkens ist es in meinem Verständnis, einen begrifflichen und normativen Rahmen für die Urteilsbildung zu aktuellen politischen Streitfragen und für die Einordnung aktueller Diskurse bereitzustellen. Politiktheoretische Hochschullehre hat damit auch die Aufgabe, die begrifflichen und analytischen Mittel für normative Urteilsbildung und Studierenden Erfahrungen mit der Anwendung konzeptueller und begrifflicher Rahmen zu vermitteln. Die Anleitung und Moderation von Diskussionen über normative Streitfragen, die politisch sensible Inhalte betreffen, stellt Lehrende der Politischen Theorie häufig vor besondere didaktische Herausforderungen: Wie können wir eine produktive, möglichst egalitäre bzw. „demokratische“ Diskussionskultur gestalten? Wie können wir zugleich Grenzen setzen, wenn Diskussionsbeiträge in Form und/oder Inhalt demokratische Grundwerte oder die Gefühle anderer Studierender verletzen? Und wo können und sollen derartige Grenzen verlaufen?

Im Dezember 2018 habe ich an der University of Dar es Salaam (Tansania) Guest Lectures zu den Themen „Frauenrechte, Feminismus and Gender Equality“ gehalten und gemeinsam mit einem an der Gastgeber-Universität tätigen Lecturer im Rahmen eines Co-Teaching-Projekts Sitzungen zu verschiedenen normativen bzw. politikphilosophischen Fragestellungen geleitet. Damit hatte ich auch die Gelegenheit, von mir bislang im deutschen bzw. europäischen Kontext angewendete Strategien (z.B. Rollenspiele, Simulationen) zur Anleitung von Diskussionen über normative Fragen und strittige politische issues unter stark abweichenden kulturellen Kontextbedingungen zu erproben. Ich werde mich in diesem Erfahrungsbericht auf die Guest Lectures beschränken, die sich mit Fragen aus dem angesprochenen Themenspektrum beschäftigten. Mit diesen Lectures habe ich ein dreifaches Ziel verfolgt: Zum ersten wollte ich aus normativer Perspektive Angebote machen, bestehende geschlechterspezifische Ungleichheiten zu evaluieren. Zum zweiten sollten diese mithilfe verschiedener empirischer Untersuchungen (sozialwissenschaftlichen bzw. gender studies-Ursprungs) erklärt werden. Drittens und abschließend wurden auf dieser Basis individuelle und kollektive Handlungsoptionen für counteraction diskutiert.

Aus didaktischen und inhaltlichen Gründen war es mir dabei ein Anliegen, so weit als möglich eine „(normativ) zurückhaltende Position“ einzunehmen: Vor dem Hintergrund meiner eigenen normativen Überzeugungen wollte ich eine möglichst ergebnisoffene, demokratische Diskussion realisieren und den „Raum des Sagbaren“ so groß als möglich halten. Hinzu kamen pragmatische Erwägungen: Eine Zurückhaltung mit Urteilen meinerseits ermöglichte auch den von mir erwünschten Dialog über Sozialisationsmuster und kontextspezifische Konzeptualisierungen von Gender-Rollen – und damit ein Lernen meinerseits.

 

Inhaltliche, didaktische und politische Anforderungen an die Gestaltung von Vorlesung und Diskussion

Die „anwendungsbezogene“ Diskussion über normative Streitfragen stellt Lehrende grundsätzlich vor Herausforderungen: Studierende sollen – und diese Zielsetzung ist nicht nur prima facie paradox – zu einer eigenständigen Urteilsbildung über normative Streitfragen angeleitet werden (vgl. Fleuß 2018). Die Guest Lectures in Dar es Salaam stellten mich jedoch vor eine Reihe zusätzlicher Anforderungen, auf die ich mich in Rücksprache mit vor Ort arbeitenden Kollegen jedoch (teilweise) vorbereiten und einstellen konnte: Zum einen variierten die sprachlichen Ausdrucksfähigkeiten der Studierenden im Englischen stark nach Herkunft (v.a. geographisch differenziert: Herkunft und Highschool-Erziehung im städtischen oder ländlichen Raum). Sie waren vor dem Hintergrund ihres Studienfaches zwar mit bestimmten theoretischen bzw. philosophischen Diskursen (zum Beispiel zu Konzeptionen politischer Gleichheit) bekannt. Zu Gender Studies bzw. feministischen Theorien konnte jedoch keinerlei Vorwissen vorausgesetzt werden, da selbige keinen Bestandteil der relevanten Curricula bildeten. Eine weitere Herausforderung für die Anleitung kontroverser Debatten resultierte aus den Rollenerwartungen, mit denen ich als Lehrende konfrontiert wurde: Grundsätzlich wurde ein Frontalunterricht mit klaren Arbeitsaufträgen und Assignments erwartet, in dem Inhalte wie auch Verfahren und Ergebnisse von einer (im Zweifelsfall männlichen!) Autoritätsperson vorgegeben wurden. Das Lehr-Lern-Setting selbst war zudem durch Umweltbedingungen (Hitze, Lautstärke, Seminarraum-Ausstattung) gekennzeichnet, die zunächst persönliche Anpassungsleistungen erforderten.

Aus rechtlicher Perspektive war die Diskussion über die in meinen Lectures thematisierten Fragen unproblematisch: die tansanische Verfassung garantiert grundsätzlich gleiche Rechte für Männer und Frauen und sowohl die National Development Vision 2025 als auch spezifische Empowerment-Programme für Frauen in bestimmten Berufen und Tätigkeitsfeldern setzen Fragen der Chancengleichheit für Frauen und Männer auf die Agenda (CEDAW, Tanzania, 2008). Die externen Rahmenbedingungen für (auch kontroverse) politische Diskussionen im akademischen Raum sind grundsätzlich gegeben, da „akademische Freiheit“ in Tansania traditionell als hohes Gut gilt (Freedom House 2018). Jedoch mussten Grenzen der öffentlichen Thematisierbarkeit bestimmter angrenzender Fragen (v.a. im Hinblick auf Homosexualität) berücksichtigt werden. Auch konnte ich im akademischen Kontext de facto nicht mit einer affirmativen Aufnahme des Gegenstands der Lectures oder meiner eigenen inhaltlichen Positionen rechnen. Unmittelbar im Vorlauf meines Aufenthaltes gab es bspw. einen inneruniversitären Konflikt zu der öffentlichen Stellungnahme einer weiblichen Kollegin zu sexuellen Übergriffen (der zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht zu ihren Gunsten aufgelöst werden konnte) (s. The Citizen, 30. November 2018).

 

Normative Zurückhaltung, Studierende als Kontextexperten – und wechselseitiges Vertrauen

Vor diesem Hintergrund habe ich in meinen Lectures bewusst über „meinen“ – also den europäischen – Kontext gesprochen und den folgenden Aufbau gewählt: Zunächst war das Ziel eine Problematisierung der in bestimmten Tätigkeitsfeldern und mit Ressourcen ausgestatteten Position immer noch verbreiteten Ergebnisungleichheit („Gender Gap“). Als Ausgangspunkt habe ich mit den Studierenden über (ihnen aus Philosophie-Kursen grundsätzlich bekannte bzw. vertraute) Konzeptionen politischer Gleichheit gesprochen und auf dieser Basis die Prämisse etabliert, dass Gleichheit im Hinblick auf Chancen wie die erforderlichen Ressourcen zur Wahrnehmung selbiger normativ vorzugswürdig ist. Im nächsten Schritt habe ich die Studierenden mit den Ergebnissen empirischer Untersuchungen zur Gender Gap konfrontiert und die folgenden Fragen aufgeworfen: (1) Wie können wir die empirischen Diskrepanzen in z.B. in Stellenbesetzungen erklären? (2) Handelt es sich in Anbetracht dieser Erklärungen um ein gerechtigkeitsrelevantes Problem? (3) Wenn ja: Was können wir tun, um dieses Problem zu beheben?

Dem Fokus auf den deutschen/europäischen Kontext im „Text“ der Lectures zum Trotz sollte es in den Anschlussdiskussionen natürlich maßgeblich um den Kontext der Studierenden gehen. Die Diskussionskultur (und aus meiner Sicht: auch ihr Ergebnis) profitierte vor dem Hintergrund des geschilderten universitären und politischen Kontextes dabei von drei Strategien:

(a) Ich habe zwar im Laufe der Lectures – so weit als möglich – „normativ zurückhaltend“ agiert und habe bewusst auch Positionierungen und Rückfragen Raum zu geben, die bspw. die gleiche Befähigung von Männern und Frauen für bestimmte Tätigkeiten infrage stellten. Die zahlreichen Rückfragen Studierender zu meiner Bewertung von geschlechterspezifischen Diskriminierungen im europäischen wie tansanischen Kontext habe ich dennoch mit (teils sehr eindeutigen) Stellungnahmen beantwortet. Hierbei habe ich jedoch stets meine normativen Prämissen transparent kommuniziert und vermittelt, dass meine Position in der gerade geführten Diskussion ebenso „zur Debatte steht“ wie jede andere. Diese Strategie stellte für mich einen wissenschaftlichen wie persönlichen Balanceakt dar, v.a. wenn Stellungnahmen moderiert werden mussten, die meinem grundsätzlichen Verständnis meiner eigenen Rechte und Ansprüche „als Frau“ widersprachen.

(b) Die Anwendung normativer Theorien und der aus ihnen hervorgehenden Evaluationsstandards für politische bzw. soziale Verhältnisse war als gemeinsames Projekt konzeptualisiert. Den Studierenden habe ich hierbei die Rolle von „Kontextexperten“ zugeschrieben, die mich aufklären müssen. Hiermit wollte ich – aus didaktischer Perspektive – die Offenheit und Diskussionsbereitschaft der Studierenden fördern. Zugleich sind die von mir rezipierten und für die Vorlesung verwendeten, auch aber die in Tansania an Hochschulen gelesenen philosophischen Texte sehr häufig westlichen Ursprungs. Eine anwendungsbezogene Diskussion von normativen Theorien bedurfte daher zunächst der Beschreibungen von Alltagssituationen seitens der Studierenden.

(c) Großen Raum nahm die Diskussion über den Umgang mit Mechanismen ein, welche geschlechterspezifische Ungleichheiten erzeugen bzw. reproduzieren. Hierbei lag ein starker Fokus auf der Individualebene und „unserem“ Umgang mit alltäglichen Situationen. Dies half in Anbetracht der Kontextbedingungen der Lehrsituation, Strategien für counteraction zu diskutieren, die konkret und pragmatisch umsetzbar sind. Für den Zweck der Vorlesung habe ich dabei (fehlerhafte bzw. problematische) Rechtfertigungsstrategien für geschlechterspezifische Ungleichheiten idealtypisch beschrieben und mit Beispielen aus meiner eigenen Lebenswirklichkeit gefüllt: Den Rekurs auf „die Natur“ bzw. „die Biologie“ („this is natural“-strategy), Tradition („it’s always been like that“-strategy) und soziale Normen („be a good girl“-strategy). Im Dialog wurden anschließend analoge Rechtfertigungsstrategien gesucht, denen Studierende in ihrem Alltag begegnen. Besonders aufschlussreich waren für mich der Austausch darüber, welches Verhalten im Umgang mit Konflikten, welche Lebensentscheidungen in Europa wie in Tanzania aus unserer Erfahrung für Menschen verschiedenen Geschlechts als „sozial adäquates“ Verhalten gewertet werden. Die Abschlussdebatte drehte sich um praktische Perspektiven, d.h. argumentative und/oder habituelle Möglichkeiten, auf derartige Diskurse zu antworten.

 

Anwendungsbezogen politisch und persönlich sensible normative Fragen diskutieren: Faktoren „jenseits didaktischer Techniken und Tools“

In den Lectures habe ich ein abstraktes philosophisches Thema durch konkrete Anwendungsbeispiele und Alltagsbezüge in die entsprechenden Lebenswirklichkeiten eingebettet. Hiermit konnte ein Relevanzbewusstsein auf Seiten der Studierenden geschaffen werden, das sich in einer lebhaften und weitgehend entspannten Diskussionsatmosphäre manifestierte. Mein Anspruch war es, die Studierenden als Experten für ihren sozialen und politischen Kontext ernst zu nehmen – auch um den Eindruck zu vermeiden, eine Deutung und Bewertung für mich fremder sozialer Zusammenhänge vorzunehmen. Schließlich hat die Handlungsorientierung der Lecture wie der Diskussion eine produktive Wendung gegeben. Zentrale Herausforderungen blieben auch bei dieser Vorgehensweise bestehen und sind aus meiner Perspektive durch „didaktische Techniken“ auch nicht vollständig einzuhegen. Dies betrifft insbesondere fünf Aspekte, die für die Interaktion der Studierenden mit mir oder für ihre Interaktion miteinander relevant sind:

  1. Rollenerwartungen und Rollenkonflikte: Gerade bei normativ sensiblen Fragen, die auch eine persönliche Dimension haben bzw. das Privatleben einzelner Diskussionsteilnehmer betreffen, haben Rollenerwartungen und -zuschreibungen ein großes Gewicht. In der Diskussion war in Anbetracht der Rückfragen Studierender deutlich, dass ich immer zugleich als Lehrende, Wissenschaftlerin, westliche „Besucherin“, als Frau, usw. wahrgenommen wurde. Hier ist es erforderlich, von Anfang an klarzustellen, dass man sich (a) der Pluralität der eigenen Rollen bewusst ist, sie aber (b) analytisch trennen kann und im Rahmen der Lehrsituation (c) in einer bestimmten Rolle oder Funktion spricht. Der analytischen Trennung von Rollen zum Trotz erforderte das Thema der Lectures, dass diese Rollen auch flexibel eingenommen bzw. gewechselt werden – gerade dann, wenn das Private politisch bzw. zum Gegenstand politiktheoretischer Reflexion wird.
  2. Gemeinsames Sprachspiel: Eine essentielle Voraussetzung für den interkulturellen Dialog ist es, dass ein gemeinsames „Sprachspiel“ hergestellt wird. Lehrende müssen Zeit, Raum und Bereitschaft für den Austausch über Begriffe, Bedeutungen, diskursive Kontexte mitbringen. Vor allem aber sollten Lehrende die Bereitschaft und habituelle Offenheit mitbringen, mit Studierenden eine gemeinsame Interpretation von Konzepten wie „politische Gleichheit“ oder „Geschlecht“ zu erarbeiten.
  3. Reflexion über die eigenen Erwartungen an ein Lehr-Lern-Setting: Auch unsere Lehr-Lern-Kultur – und die damit einhergehenden Rollenerwartungen – sind nicht selbstverständlich. Eine demokratische Diskussion mit „egalitärem“ Habitus bzw. Anspruch durchzuführen benötigt in Lehr-Lern-Kulturen, in denen Frontalunterricht das einzige bekannte Unterrichtsformat ist, nicht nur Erklärung, sondern auch Übung – und Geduld.
  4. Diskussionen über und mit Gender-Bias: Ein Gender-Bias in der Diskussionskultur kann das inhaltliche Ergebnis eines Austausches verzerren. Im Falle der Diskussion über Sozialisationsmuster und Geschlechterungleichheiten ist dies sehr wahrscheinlich. Da die Sozialisation der Studierenden im tansanischen Kontext sehr eindeutig zu einer nach Geschlechtern differenzierten Quantität (und Emphase) der Stellungnahmen führte, habe ich diesen Eindruck zwar transparent gemacht, musste das zugrundeliegende Missverhältnis jedoch als Rahmenbedingung meiner Arbeit akzeptieren.
  5. Vertrauen als Voraussetzung für Thematisierbarkeit: Gerade bei der Diskussion nicht nur normativ strittiger, sondern auch politisch umkämpfter (und möglicherweise, wie im Falle von Homosexuellen-Rechten, sogar rechtlich ahndbarer) Stellungnahmen benötigt ein produktiver Austausch wechselseitiges Vertrauen. Dieses in Interaktionen „jenseits des Seminarraums“ hergestellte Vertrauen ermöglichte im Laufe der Zeit die Benennung und Thematisierbarkeit von Rechtsverletzungen und Benachteiligungen, die in der hochschulöffentlichen Diskussion und unter formalisierten Rahmenbedingungen nicht zur Sprache gekommen wären.

Die Erfahrungen im tansanischen Kontext und meine Reflexion über die Gelingensbedingungen dieses interkulturellen Austausches lenken den Fokus damit auch auf nicht-technische Aspekte der Gestaltung von Lehr-Lern-Settings: Gerade dann, wenn die debattierten issues in die Privat- bzw. Intimsphäre der TeilnehmerInnen reichen, gewinnt die Wahrnehmung und Rolle der Lehrenden sowie die Beziehungsdimension an Bedeutung: Für den produktiven Austausch war eine möglichst entspannte Atmosphäre und die Bereitschaft zu Begegnungen außerhalb des formellen Lecture-Settings mindestens so wichtig wie didaktische Techniken. Vor allem aber wurde deutlich, dass das erforderliche Vertrauen nur durch ein wechselseitiges Auskunft-Geben über geschlechterspezifische Sozialisationsmuster, Erfahrungen und Wahrnehmungen gelingen konnte: Die produktive Diskussion über normative wie empirische Fragen der Geschlechtergleichheit bedarf wechselseitiger Offenheit – gerade im interkulturellen Austausch und auch in hierarchischen Verhältnissen. Eine persönlich offene und ergebnisoffen gestaltete Diskussion, die den Raum des Sagbaren ausdehnt, kann je nach Kontext und persönlicher Betroffenheit „weh tun“ – in der Konfrontation mit Positionen, Sozialisationsmustern und Erwartungshaltungen können Studierende und Lehrende aus meiner Erfahrung jedoch gleichermaßen profitieren.

 

Referenzen:

CEDAW, Tanzania (2007): UN Committee on the Elimination of Discrimination against Women: Combined fourth, fifth and sixth periodic reports of States parties, Tanzania. Online: https://www.refworld.org/publisher/CEDAW.html

Fleuß, D. (2018): “Politische Theorie anwendungsbezogen lehren. Lehrende zwischen normativer Zurückhaltung und kritischer Stellungnahme.” [Teaching Normative Political Theory. How to Balance Normative Moderation and Adopting Political Positions in Theory Seminars.] In: Politische Vierteljahresschrift/German Political Science Quarterly] 59(4), 719-736. https://doi.org/10.1007/s11615-018-0133-5

Freedom House (2018): Index of Freedom in the World 2018, Country Profile: Tanzania. Online: www.freedomhouse.com

The Citizen, November 30, 2018: University of Dar es Salaam lecturer in sex-for exams claim defended. Online: https://www.thecitizen.co.tz/news/University-of-Dar-es-Salaam-lecturer-in-sex/1840340-4876038-jsj603z/index.html

Call for Papers: Politikwissenschaftliche Hochschullehre – Wozu? (Fünfte Jahrestagung, Berlin, 17.-18. Februar 2020)

Der Call als pdf

Wozu betreiben wir Hochschullehre? Auf diese Frage gibt es viele mögliche Antworten, z.B. die formalistische (weil sie Teil unserer arbeitsvertraglich festgelegten Aufgabenbeschreibung ist) oder eine individuell-moralische (weil man sie für wichtig hält). Bei der fünften Jahrestagung des AK Hochschullehre wollen wir diese Frage aus systemischen, normativen und institutionellen Blickwinkeln betrachten. Anders gefragt: Was sind Ziele eines politikwissenschaftlichen Studiums und was bedeutet dies für unsere Lehre?

Wir rufen daher zu Beiträgen auf, die sich beispielsweise mit den folgenden Fragen beschäftigen:

  • Welche sind die Bildungsziele eines politikwissenschaftlichen Studiums? Hier gibt es natürlich Raum für unterschiedliche Antworten von Institut zu Institut, aber nur wenig explizite Debatten. Orientieren wir uns immer noch, oder etwa schon wieder am Ideal der „Demokratiewissenschaft“? Oder wenn es das klassisch-humanistische Bildungsideal sein soll, was ist daran spezifisch politikwissenschaftlich?
  • Im bildungspolitischen Feuilleton und in kollegialen Flurgesprächen werden Kompetenzen und Wissen gelegentlich als Gegensätze dargestellt. Wie kommen wir in der Lehre aber auch in innerfachlichen Diskursen weg von der Gegenüberstellung hin zur Komplementarität dieser beiden Ziele?
  • Im Anschluss an die von unserem AK mitgestaltete DVPW-Thementagung 2019 stellt sich die Frage, wie wir durch die Lehre im Besonderen in die Gesellschaft wirken. Wie bereiten wir (künftige und aktuelle) Praktiker*innen in Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft auf ihre Aufgaben vor? Wie befähigen wir die übrigen Studierenden dazu, aktive Staatsbürger*innen in einer zunehmend polarisierten Demokratie und einer globalisierenden Weltgesellschaft zu sein? Welche Anforderungen werden von außen an Studium und Lehre herangetragen und wie sollten wir ihnen begegnen?
  • Welche pädagogischen Vorstellungen stehen hinter unserer Lehre? Die politikwissenschaftliche Hochschullehre geschieht meistens ohne besondere lerntheoretische oder lernpsychologische Fundierung. Hier gibt es großen Spielraum und Bedarf, bildungswissenschaftliche und pädagogische Theorien für unsere Disziplin zu übersetzen und zu operationalisieren.
  • In Akkreditierungsverfahren werden Studiengänge regelmäßig als forschungs- oder praxisorientiert kategorisiert, aber wie drücken sich diese Einordnungen in Studium und Lehre aus? Sofern man mit dieser Dichotomie einverstanden ist, welche Bedeutung hat sie für die Formulierung von passenden Lernziele und die Gestaltung entsprechender Curricula? Nicht zuletzt geht es auch darum, ob wir diese selbst gesteckten Ziele erreichen. Welche Metriken benutzen wir dafür und durch welche Prozeduren fließt dies als Feedback in die Weiterentwicklung des Studienganges ein? Unter diesem Stichpunkt können auch Absolvent*innenstudien, die Erforschung einschlägiger Praxisfelder oder Verfahren des Qualitätsmanagements diskutiert werden.
  • Welche Stellung hat die Lehre an der Hochschule? Die relative Geringschätzung der Lehre im Vergleich zur Forschung, welche mit dem Begriff der „Reputationsasymmetrie“ beschrieben wird, ist allgemein bekannt. Aber welche Rolle – jenseits von Fensterreden – hat sie in der heutigen Mission der Hochschulen? Und wie differenziert sich dies nach Hochschulformen und/oder im Vergleich zur Politischen Bildung?
  • Die oben genannten Fragen spielen sich alle in größerer Flughöhe ab, aber was bedeuten sie für die Lehre im Kleinen, also auf der Ebene von Modulen und einzelnen Lehrveranstaltungen? Dies kann man normativ (Was sollten die Ziele sein?) oder praktisch beantworten (Wie trage ich zur Verfolgung der Ziele bei?). Dies umfasst auch die häufige Herausforderung, wie ich als Lehrende/r mit teils unklar formulierten Vorgaben in Prüfungsordnungen und Modulhandbüchern umgehe. Denkbar sind auch Beiträge aus institutioneller Perspektive, wie es z.B. ein Institut schaffen kann, seine Lehrenden auf gemeinsame Linien oder Ziele zu verpflichten, ohne in die Freiheit der Lehre einzugreifen.

Wie immer beschäftigen wir uns auch 2020 mit Lehrkonzepten und Erfahrungsberichten aus Lehrveranstaltungen unterschiedlicher Formate. Im Praxisforum möchten wir wieder die Gelegenheit geben, Lehr-Lernformate aus der Hochschullehre zu präsentieren, aber auch Ideen für solche Formate zur Diskussion zu stellen. Dabei geht es uns nicht nur um Lehrinnovationen, sondern auch um neue Perspektiven auf bewährte Themen, Formate und Probleme.

 

Einreichung von Beiträgen

Interessierte senden bis einschließlich 15.11.2019 einen Abstract (max. 500 Wörter) an lambach@normativeorders.net. Bitte geben Sie an, in welchem Format (Vortrag, Diskussion, Workshop, Roundtable, Poster o.ä.) Sie Ihren Teil im Rahmen der Tagung gestalten möchten und fügen Sie einige biografische Angaben (max. 200 Wörter) bei.

Nach Auswahl der Beiträge werden wir Sie bis zum 2.12.2019 über das finale Programm und den genauen Tagungsort informieren. Der Arbeitskreis ist leider nicht in der Lage, Reise- oder Übernachtungskosten zu übernehmen.

Bericht vom Workshop „Lehrbücher der Zukunft“ (Frankfurt, 9.9.2019)

Wir hatten bei unserem gestrigen Workshop sehr interessante und (zumindest für mich) erhellende Diskussionen über den Sinn, den Zweck und die Zukunft des Lehrbuchs in der Hochschullehre. Ich habe die Beiträge und Gedanken als Twitter-Thread dokumentiert:

Der ausführliche Workshopbericht befindet sich wie immer auf unserer Webseite – oder gleich hier: Am 9. September fand am Cluster Normative Ordnungen der Goethe-Universität Frankfurt am Main ein Workshop des AK Hochschullehre zum Thema „Lehrbücher der Zukunft“  statt. Ziel des Workshops war, im Dialog von Verlagen, AutorInnen und Lehrenden zu diskutieren, welche Funktion(en) das Lehrbuch angesichts sich wandelnder Rahmenbedingungen für die Lehre künftig haben kann und soll.

Lasse Cronqvist (Universität Trier) leitete in das Workshopthema ein. Er führte aus, dass sich das Lehrbuch den tradierten Reputationszuschreibungen für wissenschaftliche Karrieren nicht entziehen können. Gleichzeitig kann man das Lehrbuch als didaktisches Instrument nicht losgelöst von größeren Veränderungsprozessen im Kontext der Hochschullehre betrachten – konkret gesagt: Wie können Lehrbücher in zunehmend digitalisierte Lehrzusammenhänge eingebettet werden? Welche Rolle spielt das Lehrbuch für Verlage und Lehrende heute und in Zukunft?

In einer ersten Impulsrunde gaben Autoren und VerlagsvertreterInnen kurze Statements ab, die in die Diskussion einführten. Von Autorenseite schilderten Björn Egner und Markus Lederer (beide TU Darmstadt) ihre Perspektiven von wissenschaftlicher Seite. Sie beschäftigten sich u.a. mit der Frage, warum Lehrende überhaupt Lehrbücher schreiben und wie deren Wirkung auf die Karriere eingeschätzt wird. Von Verlagsseite diskutierten Tessa Debus (Wochenschau Verlag), Jan Treibel (Springer VS) und Alexander Hutzel (Nomos Verlagsgesellschaft), welchen Stellenwert Lehrbücher für ihre Verlage weiterhin haben und wie sie das Verlagsangebot angesichts neuer digitaler Möglichkeiten und Einsatzszenarien weiterentwickeln wollen.

Im Anschluss stellten Alexander Hutzel und Jan Treibel die Zukunftsvisionen ihrer Verlage für das Lehrbuchgeschäft vor. Sie stellten didaktische Anforderungen an Lehrbücher vor, grenzten Lehr- von Handbüchern ab und schilderten klare Vorstellungen darüber, wie die Zielgruppe(n) ihrer Lehrbuchreihen aussehen. Dabei hoben sie hervor, dass sich die Lese- und Studiergewohnheiten der Studierenden verändern – die Nutzung von Online-Angeboten steigt deutlich an und Studierende fragen zunehmend Videos und Audio zur Flankierung von Texten an. Gleichzeitig werde es schwieriger, passende AutorInnen zum Verfassen von Lehrbüchern zu animieren.

Der nächste Programmteil bestand aus der Vorstellung von drei aktuellen Lehrbuchprojekten. Als erstes stellte Ralf J. Leiteritz (Universidad del Rosario) einen Einführungsband in die Internationale Politische Ökonomie für seine kolumbianischen Studierenden vor. Danach präsentierte Markus Lederer seine Überlegungen für eine Einführung in die globale Umweltpolitik, wo der Lehrbuchmarkt bislang noch ziemlich leer ist. Zum Abschluss stellte Daniel Mertens (Universität Frankfurt) ein geplantes Buch zu globalen Finanzmärkten vor. Damit soll eine Lücke geschlossen werden, in der es bisher keine sozialwissenschaftlichen Einführungen gibt, diese aber von Studierenden stark nachgefragt werden.

In der Abschlussdiskussion wurde u.a. besprochen, was wir eigentlich über den Bedarf an bzw. den Umgang mit Lehrbüchern wissen. Hier wird noch die Perspektive der Studierenden und der Lehr-Lern-Forschung benötigt, um das sich verändernde Studierverhalten zu verstehen. Ferner wurde thematisiert, dass Lehrbücher eine wichtige Orientierungsfunktion haben, insbesondere für StudienanfängerInnen, die oft noch ein sehr monistisches Verständnis von Wahrheit haben. Nicht zuletzt besteht noch mehr Bedarf daran, den Lehrenden die Verwendung von Lehrbüchern zu vermitteln – es gibt verschiedene Möglichkeiten und Ansätze sie sinnvoll in die Lehre einzubringen.

Im Anschluss an die Tagung haben Tessa Debus und Daniel Lambach ein kurzes Interview zu den zentralen Erkenntnissen des Workshops aufgenommen. Einen Mitschnitt gibt es auf der Webseite des Wochenschau-Verlags.

Call for Papers: Vierte Jahrestagung des AK Hochschullehre (Münster, 25.-26.2.2019)

Die Jahrestagung des Arbeitskreises Hochschullehre in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) findet am 25. und 26. Februar 2019 an der Westfälischem Wilhelms-Universität-Münster statt und wir freuen uns über Einsendungen zu den folgenden Themen (pdf-Version):

 

Vielfalt und Weitblick in der politikwissenschaftlichen Hochschullehre

Bei den bisherigen Veranstaltungen des Arbeitskreises Hochschullehre wurde immer wieder angesprochen, dass sich die Lehre in der Politikwissenschaft durch zum Teil sehr heterogene Lehr- und Lernbedingungen auszeichnet. Wir möchten diese Diversität aufgreifen und in den Mittelpunkt unserer Jahrestagung 2019 stellen. Dabei wollen wir nicht nur die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen seitens der Studierenden diskutieren, sondern auch die vielfältigen Rahmenbedingungen der Lehraktivität von Dozierenden ansprechen. Auch sollen unterschiedliche Anforderungen an die Lehre in unterschiedlichen, sich mit politikwissenschaftlichen Inhalten beschäftigenden Studiengängen in den Fokus gerückt werden.

Somit wollen wir zum einen Fragen aufgreifen, welche sich aus der Diversität der Studierenden sowie den von diesen absolvierten Studiengängen ergeben. Folgende Themen können dabei im Mittelpunkt stehen:

  • Auch in der öffentlichen Debatte werden regelmäßig Probleme angesprochen, welche an den Hochschulen durch den größer werdenden Anteil an Schulabgängern mit einer Hochschulzugangsberechtigung entstehen. Welche Auswirkungen hat dieser Anstieg des Abiturientenanteils für die Lehre an den Universitäten? Welche Anforderungen stellt dies an die Studieneingangsphase? Und welche Angebote lassen sich für Studierende auf dem zweiten Bildungsweg, geflüchtete Studierende oder Studierende mit Handicap entwickeln? Werden politische Implikationen dieser Entwicklung gerade in unserer Disziplin erforscht?
  • Auf Institutsfluren wird häufig über Unterschiede zwischen Lehramts- und Hauptfachstudierenden diskutiert. Sehr interessiert sind wir daher an Tagungsbeiträgen, die das Verhältnis von Hochschuldidaktik und Politikdidaktik ansprechen. Wie kann die Hochschuldidaktik von der Politikdidaktik lernen? Welche besonderen Anforderungen stellt das Lehramtsstudium an die fachwissenschaftliche Lehre in der Politikwissenschaft?
  • Zudem hat durch die Einführung der BA/MA-Studiengänge und dem Wunsch der Internationalisierung der Hochschullandschaft eine Ausdifferenzierung der Studiengänge stattgefunden, die zum einen zu einer Spezialisierung politikwissenschaftlicher Abschlüsse geführt hat. Zum anderen resultiert hieraus auch eine breitere Einführung rein englischsprachiger Studiengänge. Aus hochschuldidaktischer Sicht ist dabei die Frage interessant, in wie weit sich die Lehre in englischsprachigen Studiengängen von anderen Studiengängen unterscheidet. Hierzu werden genauso Beiträge gesucht wie auch zu der Frage, in wie weit durch diese Ausdifferenzierung der Studiengänge auch spezifische Herausforderungen an die Lehre entstehen.

Zum anderen wollen wir uns Fragen zuwenden, welche sich aus den unterschiedlichen Voraussetzungen der Lehrenden ergeben. Wie können z.B. Doktoranden bei der Vorbereitung erster Lehrveranstaltungen unterstützt werden? Gibt es über kürzere hochschuldidaktische Einführungskurse zum Thema „Neu in Lehre“ hinaus Modelle, welche Dozierende mit nur wenig Lehrerfahrung in dieser Tätigkeit unterstützen? Welche Ideen und Konzepte existieren aus Sicht der Dozierenden für den Umgang mit Diversität in der politikwissenschaftlichen Lehre? Kann diese gerade in unserem Fach auch einen inhaltlichen Mehrwert erzeugen?

Unter dem Stichwort „Weitblick“ möchten wir ergänzend in den Blick nehmen, was wir von politikwissenschaftlicher Lehre in anderen Ländern und Hochschulsystemen, in anderen Fächern oder in nicht-universitären Kontexten (Fachhochschulen, Schulen, außerschulische politische Bildung) lernen können? Was können wir auch von der allgemeinen Hochschuldidaktik sowie der empirischen Bildungsforschung in punkto Theorien und Methoden mitnehmen und wie könnte hier ein Austausch stattfinden? Hierbei interessieren uns sowohl theoretische Überlegungen als auch „Werkstattberichte“ aus vorhandenen Programmen/Kooperationen/Formaten.

Schließlich thematisieren die Jahrestagungen des Arbeitskreises immer auch Präsentationen von Lehrkonzepten und von Erfahrungsberichten aus Lehrveranstaltungen höchst unterschiedlichen Formats. Im Forum „Praxis“ möchten wir wieder die Gelegenheit geben, Lehr-Lernformate aus der Hochschullehre zu präsentieren, aber auch Ideen für solche Formate zur Diskussion zu stellen. Dabei geht es uns nicht nur um Lehrinnovationen, sondern auch um neue Perspektiven auf bewährte Themen und Formate.

 

Einreichung von Beiträgen:

Interessierte senden bis einschließlich 9.12.2018 ein Abstract (max. 600 Wörter inkl. Leerzeichen) an lambach@normativeorders.net. Bitte geben Sie an, in welchem Format (Vortrag, Diskussion, Workshop, Roundtable, Poster o.ä.) Sie Ihren Teil im Rahmen der Tagung gestalten möchten und fügen Sie einige biografische Angaben (max. 250 Wörter inkl. Leerzeichen) bei.

Nach Auswahl der Beiträge werden wir Sie bis zum 21.12.2018 über das finale Programm informieren. Der Arbeitskreis ermöglicht die Buchung günstiger Übernachtungsmöglichkeiten im Rahmen von Hotelkontingenten. Diese Kosten sowie Reisekosten oder Honorare können leider nicht durch den Arbeitskreis übernommen werden.

Die Teilnahmegebühr für promovierte Kolleginnen und Kollegen beträgt 20 €, für Doktorandinnen und Doktoranden 10 €. Studierende müssen keinen Beitrag entrichten.

Programm der Dritten Jahrestagung der Themengruppe Hochschullehre (26.-27. Februar 2018)

Die Dritte Jahrestagung der Themengruppe Hochschullehre findet am 26.-27. Februar 2018 an der Universität Hamburg statt. Unter dem Titel „Politikwissenschaftliche Hochschullehre – Perspektiven und Konzepte aus Theorie und Praxis“ haben wir ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt, das hier zum Download im pdf-Format zur Verfügung steht: Programm Jahrestagung 2018.

Die Teilnahme ist für alle interessierten Mitglieder und Nicht-Mitglieder offen. Die Teilnahmegebühr beträgt 20 Euro, für Studierende ist die Teilnahme kostenlos. Wenn Sie sich anmelden möchten, schicken Sie bis zum 20. Februar 2018 eine formlose Mail an nicolas.ehricke@wiso.uni-hamburg.de.

Wir freuen uns auf eine interessante Tagung und hoffen, Sie dort zahlreich begrüßen zu dürfen.

Die Gedanken sind frei: Lehre ohne PowerPoint?

Dies ist ein Gastbeitrag von Constantin Wurthmann (Universität Düsseldorf)

Das Stichwort „Digitalisierung“ ist nicht erst seit dem Bundestagswahlkampf 2017 in aller Bildungspolitiker*innen Munde. Auch Bildungsexpert*innen und Hochschulleitungen springen zunehmend auf diesen Zug auf. Allzu oft wird Digitalisierung aber lediglich als Einsatz elektronischer Folien (miss-)verstanden. Schon vor 10 Jahren missfiel es einem meiner Lehrer, wenn im Fach Erdkunde/Politik das Halbjahr abschließende Präsentationen mit Plakaten präsentiert wurden – PowerPoint sei doch der neue Schrei. Man müsse mit dem digitalen Wandel gehen und diese Herausforderungen akzeptieren. An der Universität angekommen, wurde eben jenes Bild durchweg bestätigt. PowerPoint-Präsentationen hier, PowerPoint-Präsentationen dort. Referate? Eine PowerPoint-Präsentation muss her. Kolloquium? Packt die Präsentationen aus! Das Studium hatte Struktur, die regelmäßige Lektüre konnte jedoch oft vernachlässigt werden, da die wichtigsten Inhalte später auf den Folien zu finden waren, die uns zur Verfügung gestellt wurden.

Weigerte sich ein*e Dozent*in einmal entsprechende Folien zu erstellen, so war das Geschrei groß. Ein Skandal. Wie konnte uns nur mundgerechte Lehre verweigert werden?
Mit dieser Einstellung beendete ich mein Studium und startete bald in die Lehre. Die grundsätzliche Freude darüber, dass man nun selber loslegen durfte, wurde durch fehlende Lesedisziplin getrübt. Hatte ich selber zum Teil noch Lehre erlebt, die sehr an den wissenschaftlichen Texten orientiert war, so wollte ich neue Diskussionen anstoßen, mich von den Texten lösen und so die Themen von neuen Blickwinkeln beleuchten.

In einem Seminar Anfang Dezember trat nun die Situation auf, dass ein 25-Seiten-Text über die klassischen Modelle der Wahlforschung nur vier Leser*innen fand, obgleich über 20 Studierende zur Sitzung um 8 Uhr erschienen waren. Auch in der vorherigen Woche war zu beobachten, dass die Lesebereitschaft immens nachgelassen hatte. Um dieses Verhalten zu sanktionieren, fasste ich dieses Mal den Entschluss, dass ich keine Präsentation bereitstellen würde – weder in der Seminarsitzung, noch im Anschluss für Abschlussprüfungen.

Was als Sanktion gedacht war, sollte sich jedoch nicht nur für mich, sondern auch für die Studierenden als großes Geschenk erweisen. Dies möchte ich im Folgenden aus zwei Perspektiven beleuchten. Zum einen, ob und inwiefern ich eine Veränderung für die Studierenden festgestellt habe, aber auch zum anderen, inwiefern sich diese Stunde für mich gestaltete und welche Schlussfolgerungen ich daraus ziehe.

Die Sicht auf die Studierenden          

Gute Seminare zeichnen sich durch eine gute Lehre aus. Gute Lehre geht aber nicht ohne eine Mitarbeit der Studierenden.  Lehrenden kommt die Aufgabe zu, die Mitarbeit der Studierenden zu fordern und gleichzeitig auch fördern. Frontalunterricht mag in autoritären Gesellschaften eine gute Lösung sein, nicht jedoch in Gesellschaften, die ihre Lehre auch im Sinne einer Ausbildung von aufgeschlossenen und frei denkenden jungen Menschen begreifen. Zentral sind dabei Diskussion und Debatte. Um in diesen ein tiefgreifendes Verständnis zu gewinnen, muss jedoch zunächst eine gemeinsame Basis geschaffen werden, was in diesem Fall durch die obligatorische Literatur erreicht wird.

Zweifelsohne können Präsentationen für Prüfungsvorbereitungen eine immense Bedeutung haben, doch lenken sie auch von der Debatte ab. Es liegt in der Natur der Sache, dass Studierende automatisch mehr Notizen erstellen, wenn keine PowerPoint-Präsentation gehalten wird. In dieser Zeit findet eine intensivere Auseinandersetzung mit der Thematik statt, von der man sonst durch Smartphones oder andere elektronische Geräte abgelenkt worden wäre.

Tatsächlich war der ganze Kurs konzentrierter und – gerade wenn man bedenkt, dass das Seminar um 8 Uhr startete – wacher. Die Studierenden hinterfragten viel mehr Inhalte, zeigten aber auch erstmals mehrheitlich eine beeindruckende Transferleistung, die zuvor nur von wenigen Studierenden gezeigt wurde. Hinzukommend beteiligte sich erstmals jede*r einzelne Teilnehmer*in, woraus sich intensive Diskussionen zwischen den Studierenden entwickelten.

Die Lehre aus der Sicht des Lehrenden

Wenn wir als Dozierende PowerPoint-Präsentationen zur Verfügung stellen, verfolgen wir immer die Absicht, dass eine bestimmte Debatte entstehen könnte. Selbstverständlich in dem Bewusstsein, dass dies auch oft unwahrscheinlich ist.

Entstehen interessante Diskussionen, die wir fördern möchten, werden auch manchmal Inhalte übersprungen, die uns dann nicht mehr als so relevant erscheinen, da wir sie als „Notnagel“ für fehlende Diskussionskultur eingefügt haben. Diskussionen von Seiten der Studierenden kann man nicht erzwingen, aber fehlen diese, muss eine Alternative vorbereitet sein. Ich nenne so etwas „Füllfolien“, die auch einen Mehrwert haben, aber nicht an den eines tatsächlichen Austauschs kommen.

Manchmal sind PowerPoint-Präsentationen vor diesem Hintergrund der rettende Anker. Sie können aber auch ein Korsett sein, in welches wir uns selber pressen und uns damit jeglicher Kreativität und Spontanität berauben. Auch diese Erkenntnis musste ich für mich ziehen: ohne Präsentation musste ich zwar bestimmte Modelle händisch an die Tafel malen, war jedoch in der tatsächlichen Lehre und Vermittlung freier denn je, was das Arbeitsklima immens verbesserte.

In Zukunft werde ich in meiner Lehre PowerPoint-Präsentationen deutlich reduzieren und nur die nötigsten Inhalte auf ihnen vermitteln. Wenn überhaupt. Nicht umsonst heißt es in einem alten Studentenlied: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten“ – wir als Lehrende können dies nicht. Wir sollten unsere Lehre daraufhin anpassen und im Sinne ihrer besten Traditionen modernisieren: Hin zu Dialog und Austausch – und damit das Korsett der PowerPoint-Präsentationen hinter uns lassen, um unseren Studierenden mehr eigene Gedanken zuzutrauen.

Call for Papers für die Jahrestagung 2018 in Hamburg

Am 26. und 27. Februar 2018 veranstaltet die Themengruppe Hochschullehre in der DVPW ihre nunmehr dritte Jahrestagung, dieses Mal an der Universität Hamburg. Die Tagung richtet sich an Mitglieder der Themengruppe, DVPW-Mitglieder, ebenso aber an alle interessierten Lehrenden und Studierenden der Politikwissenschaft und verwandter Disziplinen. Eine Mitgliedschaft in der DVPW ist zur Teilnahme nicht notwendig.

Call for Papers (Download als pdf)

Thema der Tagung ist diesmal:

Politikwissenschaftliche Hochschullehre – Perspektiven und Konzepte aus Theorie und Praxis

 

Perspektiven und Konzepte aus der Theorie

Im Rahmen der bisherigen Veranstaltungen unserer Themengruppe wurde deutlich, dass unsere Hochschullehre in didaktischer Hinsicht häufig mit wenig theoretischer Fundierung auskommt. Damit sind nicht didaktische Methoden oder Fragen von Lern- und Kompetenzerwerb gemeint, sondern vielmehr Fragen nach den Spezifika politikwissenschaftlicher Hochschullehre, zum Beispiel: Welche (fachspezifischen) Theorien legen wir der Konzeption von Lehrformaten zugrunde? Welche normativen Prägungen finden Eingang in die Lehre und welche Auswirkungen hat dies für die spätere Praxis? Was unterscheidet politikwissenschaftliche Hochschullehre von der Lehre in anderen Disziplinen? Wo und in welcher Form findet empirische Forschung zum Thema politikwissenschaftliche Hochschullehre statt? Beschäftigen sich Nachwuchswissenschaftler/innen in Qualifikationsschriften mit politikwissenschaftlicher Hochschullehre? Finden Forschungen zu Lehrenden und Lernenden unseres Faches statt? Im Rahmen des Forums „Theorie“ laden wir herzlich ein, Konzepte und Forschungen zu diesen und weiteren Fragen vorzustellen. Unser Theoriebegriff ist hierbei bewusst weit angelegt und meint das Nachdenken, Reflektieren und Evaluieren über bzw. der eigenen Lehre. Hierbei interessieren uns vor allem Forschungen und Konzepte, die noch vor der praktischen Erprobung stehen, ebenso wie theoriegestützte Metaüberlegungen und empirische Forschungen zur politikwissenschaftlichen Hochschullehre insgesamt. Vorgestellte Konzepte müssen nicht fertiggestellt sein, auch Werkstattberichte laufender Vorhaben oder Ideenskizzen für künftige Forschungen sind äußerst willkommen.

Perspektiven und Konzepte aus der Praxis

Die Jahrestagungen der Themengruppe beinhalten immer auch Präsentationen von Lehrkonzepten, von Erfahrungsberichten aus Lehrveranstaltungen höchst unterschiedlichen Formats. Im Forum „Praxis“ möchten wir erneut die Gelegenheit geben, Lehr-Lernformate aus der Hochschullehre zu präsentieren, Ideen für solche Formate zur Diskussion zu stellen und neue Formate im Kreis von Kolleginnen und Kollegen zu entwickeln. Hierbei laden wir ausdrücklich auch dazu ein, interdisziplinäre und berufsorientierte Lehrformate vorzustellen. Uns geht es nicht nur um Lehrinnovationen, sondern auch um neue Perspektiven auf bewährte Themen und Formate. Denkbar ist überdies, dass Ansätze zum Umgang mit aktuellen Herausforderungen der Lehre (z.B. Heterogenität der Studierenden, Digitalisierung des Studienalltags) präsentiert werden. Gleichermaßen interessieren uns jedoch auch Austausch- und Weiterbildungsformate auf Fach- oder Fakultätsebene, die an Ihren Hochschulen praktiziert werden, so etwa Lehrkolloquien oder Gesprächsrunden zwischen Lehrenden und Studierenden.

 

Einreichung von Beiträgen:

Interessierte senden bis einschl. 30. November 2017 ein Abstract (max. 600 Wörter inkl. Leerzeichen) an die Sprecherin der Themengruppe: Julia Reuschenbach M.A., Universität Bonn (julia.reuschenbach@uni-bonn.de). Bitte geben Sie an, in welchem Format (Vortrag, Diskussion, Roundtable o.ä.) Sie Ihren Teil im Rahmen der Tagung gestalten möchten und fügen Sie einige biografische Angaben (max. 250 Wörter inkl. Leerzeichen) bei.

Nach Auswahl der Beiträge werden wir Sie bis zum 20. Dezember 2017 über das finale Programm informieren. Die Themengruppe ermöglicht die Buchung günstiger Übernachtungsmöglichkeiten im Rahmen von Hotelkontingenten. Diese Kosten sowie Reisekosten oder Honorare können leider nicht durch die Themengruppe übernommen werden.

Für Fragen stehen Ihnen die Sprecher/innen der Themengruppe gerne zur Verfügung

Gemeinsames Gedankenexperimentieren in der Hochschullehre

Dies ist ein Gastbeitrag von Dannica Fleuß (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg).

 

Wie kann man in der Hochschullehre der Politischen Theorie einen stärkeren Fokus auf systematische und anwendungsbezogene Problemstellungen erreichen? Und wie kann man sowohl das Interesse der Studierenden für scheinbar „abstrakte“ Fragestellungen und Konzepte wecken als auch Vermittlungsprobleme vermeiden? Diese Fragen habe ich mir in einem Vortrag auf der Jahrestagung der DVPW-Themengruppe Hochschullehre gestellt. Dabei habe ich eine Methode vorgestellt, die ich sowohl an der Universität Heidelberg als auch an der Helmut-Schmidt Universität in Hamburg häufig anwende: das „gemeinsame Gedankenexperimentieren“.

Das, was wir als Lehrende der Politischen Theorie erreichen möchten, ist neben einer eigenständigen Reflexion und Urteilsbildung über normative Fragen die Einordnung aktueller Phänomene in den Kontext „bisheriger“ Reflexion. Zudem sind Seminare im Bereich der Politischen Theorie — gerade dann, wenn es um kontroverse Debatten geht — ausgezeichnet geeignet, um Studierenden ein Gespür für eine gute Diskussionskultur, Ambiguitätstoleranz  sowie das Vermögen zur kontextsensiblen Bewertung von Situationen zu vermitteln. Trotzdem ist es — nicht nur, aber auch bedingt durch die Reform von Studiengängen und in Modulhandbüchern vorgegebene Stoffpläne — nicht immer leicht, diese Ziele in (Einführungs-)Seminaren zu erreichen: Auch Lehrende der Politischen Theorie müssen eine bestimmte Anzahl von „Klassikern“ in kurzer Zeit behandeln, so dass es nahe liegt, primär ideengeschichtlich fokussierte Überblicksveranstaltungen anzubieten, die in chronologischer Reihenfolge „klassische“ oder „kanonische“ Positionen sowie ihren historischen Kontext darstellen. Die von mir vorgeschlagene Methode versteht sich nicht als Alternative zu ideengeschichtlichen Veranstaltungen, sondern als ergänzendes „Modul“ innerhalb derartiger Formate, mit dem auf drei zentrale Probleme reagiert werden kann:

  1. Ein (anfängliches) Desinteresse am Fachbereich: Politische Theorie als Teildisziplin der Politikwissenschaft ist (z.B. im Vergleich zu Internationalen Beziehungen) in den meisten Fällen nicht der Gegenstandsbereich, der Anlass für ein Studium der Politikwissenschaft war, sodass ein Interesse am Fachbereich aktiv geweckt werden muss.
  2. Ein Relevanzproblem: Die Bedeutung einer systematischen, theoriegeleiteten Auseinandersetzung mit normativen Fragen muss zunächst einmal kommuniziert werden. Studierende scheinen z.B. häufig den Eindruck zu haben, dass die in der Politischen Theorie geführte Diskussion normativer Fragen vom konkreten politischen Geschehen und unseren Problemlösungsstrategien weitgehend losgelöst ist.
  3. Ein Stilproblem auf sprachlicher Ebene: Komplizierte bzw. abstrakte Darstellungen sind in vielen Fällen ein Abschreckungsfaktor für die Auseinandersetzung mit dem Thema.

In ideengeschichtlich orientierten Überblicksveranstaltungen konstruktiv auf diese Probleme zu reagieren und einen konkreten Bezug zu aktuell relevanten Fragen und Problemlagen herzustellen, ist nicht immer leicht. Die Diskussion im Seminar droht eher um die „richtige“ Auslegung einer klassischen Position zu kreisen als um das systematisch-normative Problem sowie seine Implikationen für andere Anwendungsfelder der Politikwissenschaft oder tagesaktuelle Fragen. Ich plädiere daher für eine stärke problemorientierte Vermittlung und Diskussion von theoretischen Ansätzen. Eine Methode, die ich in Seminaren häufig und mit gutem Feedback anwende, ist das gemeinsame Gedankenexperimentieren.

Diese Bezeichnung ist klärungsbedürftig. Gemeint ist mit „gemeinsamem Gedankenexperimentieren“ nicht ein freies Assoziieren oder das Entwerfen von Utopien zu normativen Fragen. Vielmehr ist an dieser Stelle ein Verfahren gemeint, dass aus einem Dreischritt von (1) der Darstellung eines Szenarios, (2) der Formulierung einer auf Basis dieses Szenarios durch die Studierenden zu beantwortenden Frage und (3) natürlich der Durchführung des „Experiments“  besteht (vgl. dazu auch Engels 2004). Die grundsätzliche Offenheit des Experiments in Hinblick auf das inhaltliche Ergebnis und den Ablauf der Diskussion birgt ihre eigenen Herausforderungen für den Lehrenden. Trotz dieser Herausforderungen hat sich dieses Vorgehen in meiner Lehrpraxis als sinnvoll erwiesen und kann u.a. die folgenden Funktionen erfüllen:

  • Eine Reduktion des Abstraktionsniveaus bei der Vorstellung eines theoretischen Problems
  • Eine niederschwellige Diskussionskultur

Ein Praxisbeispiel, an dem diese beiden Funktionen von gedankenexperimentellen Verfahren in der Lehre deutlich werden, ist die Vermittlung des Problems der Legitimität staatlicher Herrschaft. Dies bedeutet, dass eine klassische Staats- bzw. Verfassungsgründungssituation mit den Studenten simuliert wird und sie aufgefordert werden, sich die Frage zu stellen, ob es in der vorab definierten kontrafaktischen Situation (ohne Staat) rational ist, sich für ein staatliches Gewaltmonopol zu entscheiden (und welche Eigenschaften dieses ggf. haben soll). Bei einer solchen Herangehensweise wird die komplexe Debatte über die Legitimität staatlicher Herrschaft wesentlich zugänglicher und der Einstieg in eine lebendige Seminardiskussion wird erleichtert.

Gerade in der Diskussion kontroverser politischer und moralischer Fragen werden zwei weitere Funktionen eines gemeinsamen Gedankenexperimentierens deutlich:

  • Die Ermöglichung von Rollen- und Perspektivenwechseln
  • Das Aufzeigen alternativer Antwortoptionen bzw. das Trainieren von Ambiguitätstoleranz

In der Diskussion normativer Fragen ist es erforderlich, dass auch „unbequeme“ oder gewohnten moralischen Intuitionen widersprechende Positionen eingenommen werden. Beispiele für solche Themen sind Diskussionen über Civil Disobedience, Güterabwägungen oder auch Debatten über fundamentale Grund- bzw. Menschenrechte. Gedankenexperimentelle Verfahren bieten hier die Möglichkeit, die Studierenden spielerisch Positionen einnehmen zu lassen, um damit die Argumente der „Gegenseite“ ausprobieren zu können. Um in solchen Situationen eine methodisch angeleitete Diskussion — und kein freies Assoziieren oder Spekulieren — auf Seiten der Studierenden zu erreichen, empfiehlt sich meiner Erfahrung gemäß eine Anleitung in den folgenden drei Schritten (s. auch Engels 2004):

  1. Die (möglichst präzise und anschauliche) Beschreibung des Szenarios durch den Lehrenden.
  2. Die Formulierung einer eindeutigen Fragestellung, die auf Grundlage des Szenarios beantwortet werden soll.
  3. Im Anschluss an die Ausführung des „Experiments“: Eine systematische Abwägung von verschiedenen Antwortoptionen und die theoretisch fundierte Einordnung der Antworten, die Darstellung von „Schwächen“ der vorgebrachten Positionen.

Diese drei Schritte möchte ich kurz anhand eines so klassischen wie komplexen, zugleich aber für das „kollaborative Gedankenexperimentieren“ auch sehr fruchtbaren Beispiels veranschaulichen: Des Verfahrens in der original position, mit dem Rawls seine zwei Gerechtigkeitsprinzipien begründen möchte.

Schritt (1): Für die Simulation der Aushandlung zentraler Gerechtigkeitsgrundsätze lässt sich das Szenario, in das sich die Studierenden begeben sollen, in einem ersten Schritt auf die Beantwortung zweier (scheinbar) simpler Fragen reduzieren: Über welche Informationen verfügen Sie als Protagonist in der original position? Über welche Informationen verfügen Sie nicht?

Schritt (2): Die Formulierung der Fragestellung würde in diesem Fall eine Definition dessen, worüber die Protagonisten des Rawlsschen Urzustandes entscheiden müssen, meinen. Diese Frage lässt sich präzisieren in: a) Für welche Gerechtigkeitsgrundsätze würden Sie sich in dieser Situation entscheiden? Wie würden Sie materielle und immaterielle Güter verteilen? b) Wie würden Sie sich Rawls’ eigenem Vorschlag gegenüber positionieren?

Schritt (3): Ganz im Sinne eines „Experimentes“ muss man sich bei einer solchen Vorgehensweise darauf einlassen, dass der Ausgang offen ist. Die Herausforderung besteht daher im dritten Schritt darin, die von den Studenten selbst vorgebrachten Positionen und Argumente systematisch „einzufangen“ und in den Kontext der theoretischen bzw. wissenschaftlichen Debatte einzuordnen.

Aus meiner Erfahrung sind die Positionen, die an dieser Stelle vorgebracht werden, zwar zumeist nicht in wissenschaftlichen Debatten verortet oder mit den entsprechenden Labels und Fachausdrücken bestückt. Sie sind dennoch häufig Positionen, die grundsätzlich auch in der wissenschaftlichen Diskussion relevant sind. Die Eigenständigkeit, mit der Studierende in einer solchen Situation nachdenken und verschiedene Positionen abwägen ist in vielen Fällen beeindruckend. Auf dieser Basis ist sodann eine durch Überlegungen der Studierenden selbst motivierte Diskussion zentraler Fragen möglich. Die Motivation, komplexe Probleme oder Begriffe zu diskutieren ist bei dieser Ausgangslage häufig wesentlich besser.

Eine Herausforderung für den Lehrenden besteht darin, ein adäquates Verhältnis von Kontextwissen und „eigenständigem“ Nachdenken herzustellen. Denn historisches bzw. ideengeschichtliches Kontextwissen ist selbstverständlich nicht nur laut Lehrplan zu vermitteln, sondern auch erforderlich für ein tieferes Verständnis der diskutierten Themen. Die Abstraktion vom historischem Kontext, in dem die diskutierten Probleme verortet sind, ist natürlich beim Gedankenexperimentieren selbst gewollt. Zugleich ist es erforderlich, im Anschluss an diesen Schritt eine Strukturierungsleistung zu erbringen, um die Antwortoptionen in ihrem historischen und politischen bzw. argumentativen Kontext einzubetten.

Eine Frage, die ich auch auf der Jahrestagung abschließend diskutiert habe, ist die nach der Übertragbarkeit der gedankenexperimentellen Methode auf andere Teilbereich der Politikwissenschaft: Auf den ersten Blick scheint das hier skizzierte Vorgehen nur eingeschränkt auf die Lehre in empirisch arbeitenden, weniger stark mit philosophischen Fragestellungen assoziierten Felder anwendbar zu sein. Diesem ersten Eindruck widerspricht der Befund, dass gedankenexperimentelle Szenarien auch in naturwissenschaftlichen Fächern (klassisch: der Physik) eine nicht unerhebliche Rolle spielen und bspw. der Analyse (möglicher) Kausalbeziehungen dienen. Wie auch in Anbetracht der Nähe der von mir besprochenen gedankenexperimentellen Methode zu Simulationsverfahren, ist ein „gemeinsames Gedankenexperimentieren“ in der Lehre nicht nur in der Diskussion normativer Fragestellungen gewinnbringend. Vielmehr dürfte sich das sowohl spielerische als auch theoretisch angeleitete Erproben von Szenarien unter dem Motto „Was wäre, wenn…“ mit einigen Modifikationen durchaus auch für empirisch arbeitende Lehrende eignen.

 

Ausgewählte Literatur:

Helmut Engels (2004): »Nehmen wir an …«: Das Gedankenexperiment in didaktischer Absicht. Weinheim: Beltz. (Instruktiv als Ausgangspunkt für die Anwendung gedankenexperimenteller Verfahren und in Hinblick auf verschiedene hier angesprochene Aspekte, auf Didaktik an Schulen bezogen)

Tobias Klauk (2008): „Gedankenexperimente – Eine Familie philosophischer Verfahren“, November. URL: https://ediss.uni-goettingen.de/handle/11858/00-1735-0000-0006-AFB4-C. (Philosophische Dissertation zu verschiedenen Arten von Gedankenexperimenten und ihren Funktionen)

John Rawls (2009): A Theory of Justice. Harvard University Press.

Gastblogs zur politikwissenschaftlichen Hochschullehre gesucht

Wir haben in unserem Blog schon mehrfach Gastbeiträge veröffentlicht, z.B. zum Forschenden Lernen mit Kooperationspartnern, zu Erfahrungen mit einer Schreibwerkstatt, zum Einsatz von Abstimmungssystemen oder zu blended learning. Die Resonanz auf diese Texte war stets sehr gut und wir laden deshalb zur Einsendung neuer Blogbeiträge ein.

Warum gastbloggen?

  • Der Blog ist ein zentrales Mittel zum Austausch in unserer Gemeinschaft aktiver Lehrender. Durch einen Blogbeitrag teilen wir unsere Erfahrungen miteinander, regen gegenseitig die Kreativität an und unterstützen uns in unserer Lehrpraxis.
  • Der Blog macht unsere Arbeit in der Lehre sichtbar. Unsere Webseite hat derzeit täglich ca. 10-20 Besucher, Blogeinträge erhalten über die Zeit sehr viele Zugriffe. Beiträge werden in allen Suchmaschinen indexiert. Der Blog ist somit eine hervorragende Möglichkeit, für ein Thema zu werben und mit diesem Thema verbunden zu werden.
  • Wir bewerben neue Beiträge über Twitter (freuen uns aber auch, wenn AutorInnen uns bei der Öffentlichkeitsarbeit für ihre Beiträge unterstützen, z.B. durch Facebook-Posts oder Verlinkung von anderen Seiten).
  • Über die Lehre zu schreiben hilft auch bei einer systematischen Selbstreflektion und trägt zur weiteren Verbesserung der eigenen Lehrpraxis bei.

Gastblogs sollten ca. 500-800 Wörter umfassen und auch für Nicht-Spezialisten zugänglich sein. Von der Möglichkeit, tiefergehende Informationen einzubinden, z.B. zu Publikationen, Projektberichten oder Webseiten, sollte reger Gebrauch gemacht werden.

Thematisch kommt für einen Gastbeitrag alles mit einem Bezug zur politikwissenschaftlichen Hochschullehre in Frage. Praxisbeispiele werden natürlich gern genommen, aber Gastbeiträge können sich aber auch mit normativen oder wissenschaftspolitischen Fragen der Lehre befassen. Blogeinträge sollten eine persönliche Note haben, z.B. durch die Darstellung eigener Standpunkte oder Bezug auf eigene Praxiserfahrungen.

Beiträge können als doc/docx-Datei an info@hochschullehre-politik.de eingesendet werden. Eine Vorabsprache ist nicht nötig, aber bei Fragen stehen wir unter dieser Adresse natürlich gerne zur Verfügung.

[EDIT: Zugriffszahlen aktualisiert.]

Die Vorlesung als Quiz? Hörsaalabstimmungssysteme in Vorlesungen

Dies ist ein Gastbeitrag von Kai-Uwe Schnapp (Universität Hamburg).

Vorlesungen gehören zur Universität. An bestimmten Stellen, etwa im Einführungsbereich, haben Sie nach meiner Überzeugung eine starke Berechtigung. Sie vermitteln Überblickswissen, tragen zur Sozialisation ins Fach bei und vermitteln auch einen Teil des Lebensgefühls „Universität“. Gleichzeitig sind sie aus der Zeit gefallen. Nicht nur aber auch weil wir inzwischen wissen, dass nach 15 Minuten passiven Zuhörens die Aufmerksamkeit rapide abnimmt, und das nicht erst, seit der ganze Hörsaal voller Smartphones sitzt.

Kann man jenseits eines vollständigen Umstürzens des Vorlesungssaales im Sinne des Konzeptes „flipped-classroom“ etwas tun, das Abhilfe schafft? Ich denke man kann, frau kann auch, und zwar mit Hilfe von Hörsaalabstimmungssystemen („classroom response systems“). Das sind technische Systeme, die es den Studierenden ermöglichen, im Hörsaal Fragen zu beantworten, in der Regel sind das Multiple-Choice-Fragen. Das Antwortverhalten wird vom Abstimmungssystem ausgewertet und auf den Laptop des Vorlesenden übertragen, so dass dieser das Ergebnis sofort sehen und den Studierenden auf der Leinwand zeigen kann. Das kann dann z.B. so aussehen:

Musterbildschirm mit Frage und Auswertung des Antwortverhaltens

Damit das Ganze funktioniert, bedarf es geeigneter Sender bei den Studierenden, eines geeigneten Empfängers beim Lehrenden und einer Software, die die einkommenden Daten auswertet und idealerweise grafisch aufbereitet. Hierfür gibt es Softwarelösungen wie Pingo oder StuReSy, die das ganze internetbasiert betreiben und Hardwarelösungen, wie etwa die Clicker der US-amerikanischen Firma H-ITT oder von Smart-Technologies. Ich selbst benutze das System von H-ITT. Es besteht aus kleinen Sendern, die einer Fernbedienung ähneln; einem Empfänger, der per USB-Anschluss an den Laptop des Lehrenden angeschlossen wird und einer Software, die auf dem Rechner die Daten auswertet und zur Anzeige bringt. Das System ist schnell installiert und binnen weniger Minuten einsatzbereit. Aufwand entsteht fast nur auf der inhaltlichen Seite, bei der Erarbeitung der Fragen und ihrer Umsetzung in geeignete Präsentationsmedien.

Warum sollte man solche Hörsaalabstimmungssysteme in Vorlesungen einsetzen? Die offensichtliche Antwort lautet: Sie lockern einen langen Vortrag durch Eigenaktivität der Studierenden auf. Die Clickerfrage ist aber viel mehr als nur Abwechslung in einer Vorlesung. Sie ist, gut gestellt, im besten Sinne des Wortes eine Aktivierung der Studierenden. Sie kann dazu genutzt werden, unmittelbar festzustellen, ob ein bestimmter Inhalt angemessen verstanden wurde. Die Frage hilft dabei festzustellen, mit welchem Vorverständnis Studierende in den Hörsaal kommen. Oder sie kann dazu anregen, über einen Gegenstand nachzudenken oder ihn sogar mit den KommilitonInnen zu diskutieren, ehe die Lehrperson ihre Inhalte präsentiert.

Die unmittelbare „Prüfung“ des Verständnisses des vorgetragenen Stoffes ist für Studierende wie Lehrende hilfreich. Studierende bemerken, an welchen Stellen Nacharbeit nötig ist und das Fragen-Antwort-Lösung-Spiel trägt zur Emotionalisierung des Lernprozess bei. Immer wieder sieht man Studierende, die freudig die Hand hochreißen, wenn eine Frage richtig beantwortet wurde, oder ärgerlich auf das Pult hauen, wenn etwas danebenging. Das alles ist in hohem Maße willkommen, tragen doch Emotionen bekanntermaßen dazu bei, dass Inhalte fester im Gehirn verankert werden. Lehrende können ihrerseits feststellen, wie erfolgreich sie mit ihren Erläuterungen gewesen sind, ob Vertiefungsbedarf besteht, oder ob das nächste Thema begonnen werden kann.

Genauso ist es auch sinnvoll, Fragen zu stellen, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Die Frage und Antwortalternativen sollten dann so formuliert sein, dass bereits in der Diskussion deutlich werden kann, dass es hier um das Abwägen von Vor- und Nachteilen unterschiedlicher Varianten geht, nicht um das Finden der einen richtigen Lösung. Die Lehrperson muss dann natürlich in geeigneter Weise auflösen. Sie muss also Alternativen abwägen, Vor- und Nachteile benennen und begründen, warum sie sich für welche Lösung entscheidet. Bei dieser Nutzungsform fehlt für die Studierenden zwar das „Glückserlebnis“, ein bleibender Lerneffekt stellt sich durch die intensive Diskussion gleichwohl ein.

Damit das alles funktioniert, müssen geeignete Fragen gestellt werden. Man muss also gute Multiple-Choice-Antworten formulieren, die weder zu eindeutig auf das richtige Ergebnis zeigen, noch so schwierig sind, dass sie vor allem Frustrationserlebnisse erzeugen. Für die Formulierung der Fragen gelten die üblichen Regeln für das Gestalten von Multiple-Choice-Fragen, wie man sie auf diversen Webseiten findet. (Beispiele: eLearning Coach, Vanderbilt Center for Teaching)

Die Vorbereitung von 6-8 Clickerfragen für eine Vorlesung kostet zwischen 30 Minuten und zwei Stunden. Letzteres ist der Fall, wenn noch gar keine geeigneten Fragen zu einem Thema vorliegen oder aufwändige Grafiken für die Fragen zu erstellen sind. Kann man dagegen auf einen Fundus geeigneter Multiple-Choice-Fragen zurückgreifen, so reduziert sich die Vorbereitungszeit auf wenige Minuten. Man braucht dann gerade so viel Zeit, wie es kostet, die Fragen in einem geeigneten Grafik- oder Präsentationsprogramm umzusetzen. Und manchmal hilft einfach die Inspiration, weil einem auf dem Weg an die Uni eine tolle Frage einfällt, die man vor dem Weg in den Hörsaal noch schnell umsetzt.

Gepflegt und verwaltet wird die Technik bei uns übrigens vom E-Learning-Büro der Fakultät. Die Auslagerung der Administration aus den Professuren bietet sich an, wenn das System von unterschiedlichen Lehrenden parallel genutzt werden soll.