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Take Home Exams als alternative Prüfungsformen in der Politikwissenschaft

Dies ist ein Gastbeitrag von Dana Atzpodien (Universität Münster).

Die Verlagerung der Lehre in den Online-Betrieb hatte erhebliche Auswirkungen auf den Prüfungsbetrieb an den politikwissenschaftlichen Instituten deutscher Universitäten. Waren an vielen Standorten vor der Pandemie Präsenzklausuren im Hörsaal Standard bei der Prüfung großer Lerngruppen, stehen viele Lehrende nun vor der Herausforderung, Alternativen zu entwickeln. Neben Online-Klausuren rücken dabei sogenannte „Take Home Exams“ in den Fokus. Warum Take Home Exams auch unabhängig von digitalen Hochschulsemestern eine willkommene Ergänzung des Prüfungsportfolios in der Politikwissenschaft sind, werde ich in diesem Blogbeitrag ausformulieren.

Zunächst werde ich erläutern was Take Home Exams überhaupt sind und was bei der Konzeption, Vorbereitung, Durchführung und Bewertung für Prüfende zu beachten ist. Anschließend folgen zwei Praxisbeispiele aus meiner Lehre am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster: Ein Take Home Exam in Anlehnung an eine Klausur und ein Take Home Exam in Anlehnung an eine Hausarbeit. Danach gehe ich auf das Feedback der Studierenden zu den beiden Prüfungen ein und ziehe mein eigenes Resümee. Nach dem abschließenden allgemeineren Fazit folgen noch weiterführende Links zur umfassenden Auseinandersetzung mit der Prüfungsform.

Dieser Blogbeitrag fasst die zentralen Inhalte des Zoom-Workshops vom 4. Mai 2021 zusammen. Den gesamten Vortrag können Sie sich auf YouTube ansehen.

Take Home Exams

Beim Take Home Exam bearbeiten die Studierenden „eine oder mehrere vorgegebene Fragestellungen schriftlich oder elektronisch, eigenständig, ohne Aufsicht, ggf. unter Nutzung von zugelassenen Hilfsmitteln, im Umfang einer bestimmten Bearbeitungsdauer und in einem festgelegten Bearbeitungszeitrahmen, der länger als die eigentliche Bearbeitungsdauer der Prüfungsleistung sein kann“ (Universität Hamburg 2021).

Das Take Home Exam bietet als digitale Prüfungsform einige Vorteile gegenüber einer klassischen Klausur: Insbesondere während der Pandemie müssen die Studierenden für die Prüfung nicht in die Universität kommen und können die Prüfung zu Hause oder an einem Ort ihrer Wahl ablegen. D.h. die Prüfenden müssen sich nicht mit der Raumplanung oder einem Hygienekonzept auseinandersetzen. Durch die individuelle Gestaltung der Prüfungsumgebung ist es den Studierenden möglich, ihren individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. Wenn die Prüfungszeit dann auch noch angemessen länger als die eigentliche Bearbeitungszeit ist, können außerdem Pausen eingelegt sowie Care-Verpflichtungen und Lohnarbeit nachgegangen werden. Ebenso wie bei einer Hausarbeit zeichnet sich die Prüfungsform daher durch ein hohes Maß an Vertrauen gegenüber den Studierenden und Eigenverantwortung aus. Es wird auf eine Überwachung, wie bei einigen Online-Klausuren, via Videokamera oder Tonaufnahmen verzichtet und es gibt keinen Eingriff in die Privatsphäre der Studierenden. Das Format des Take Home Exams ermöglicht es, gegenüber einer Online-Klausur, darüber hinaus technische Probleme besser aufzufangen bzw. setzt die Studierenden und Prüfenden nicht so unter Druck wie bei einem engeren Zeitfenster. Die Studierenden benötigen auch nicht durchgängig oder stabil einen Internetzugang, sondern nur beim Down- und Upload der Aufgabenstellung und Abgabe der Prüfung.

Die begrenzte Bearbeitungszeit bietet trotz der gegebenen Freiheiten mehr Planungssicherheit für alle Beteiligten. Planungssicherheit ist sowohl für die Studierenden als auch die Prüfenden von Vorteil, da am Ende des Semesters meist mehrere Prüfungen koordiniert werden müssen. Außerdem kann anders als bei Klausuren die Arbeitsbelastung für die Studierenden gestreut werden.

(Online) Klausur Take Home Exam Hausarbeit
Durchführung Prüfungszeit entspricht der Länge der Bearbeitungszeit Prüfungszeit entspricht der Länge der Bearbeitungszeit plus Puffer Prüfungszeit ist unabhängig von der Bearbeitungszeit: Abgabefrist meist Ende des Semesters
Kompetenzbereiche

(Hochschulrektorenkonferenz 2015)

(1) Erinnern und verstehen
(2) Anwenden
(2) Anwenden
(3) Analysieren und Bewerten
(4) Erweitern und Erschaffen
(1) – (4)
Vorbereitung Probeklausur
Aufgabenstellung und Erwartungshorizont
Technische Infrastruktur
Probe Take Home Exam

Aufgabenstellung und Erwartungshorizont
Technische Infrastruktur

Beispiele
Individuelle Sprechstunde(n) mit Studierenden
Bewertung Automatisiert und händisch
Inhalte gemäß Erwartungshorizont
Händisch
Inhalte und Struktur gemäß Erwartungshorizont(Inhalt individuell)
Händisch
Struktur gemäß Erwartungshorizont
Inhalt individuell

Bevor ich final auf die beiden von mir selber erprobten Formate von Take Home Exams und die Erfahrungen mit meinen Studierenden berichte, werde ich allgemeiner auf die Konzeption, Vorbereitung, Durchführung und Bewertung der Take Home Exams eingehen.

Konzeption

Das Take Home Exam ist ein flexibler Hybrid aus einer klassischen (Online-) Klausur und einer Hausarbeit. Dabei können sowohl die Form als auch die Inhalte auf das jeweilige Vorlesungs- bzw. Seminarkonzept und die Studienleistung angepasst werden und vice versa. Schreiben die Studierenden in der Studienleistung Essays oder fertigen Flussdiagramme an, kann dies auch Bestandteil des Take Home Exams sein. Grundsätzlich empfiehlt sich bei der Konzeption eine Abstimmung auf die für das Seminar formulierten Lern- und Kompetenzziele. Der Umfang des Seminars und der Prüfungsleistung kann wiederum mit der Prüfungsordnung abgeglichen werden.

Im Gegensatz zur Klausur und ähnlich zur Hausarbeit ist das Take Home Exam darüber hinaus durch die längere Bearbeitungszeit eine ausgezeichnete Option, um die Prüfung als eine Fortsetzung des Lernprozesses für die Studierenden zu gestalten anstelle einer reinen Abfrage von vorher vermitteltem Wissen. Die Studierenden können die Zeit bei den Aufgaben der höheren Kompetenzbereiche für Reflexion nutzen und ihr gelerntes Wissen anwenden (Bengtsson 2019). Komplexere Aufgaben aus den höheren Kompetenzbereichen erschweren außerdem wissenschaftliches Fehlverhalten. Es bieten sich insbesondere die Anforderungsniveaus „Anwenden“, „Analysieren und Bewerten“ sowie „Erweitern und Erschaffen“ an, wobei die ersten beiden gut miteinander verbunden werden können. Eine Aufgabenstellung im Anforderungsbereich „Erweitern und Erschaffen“ verlangt von den Studierenden deutlich mehr und kann schwer zeitlich kalkuliert werden, was zu einer Überforderung bei den Studierenden führen kann. Für eine primäre Prüfung dieses Anforderungsbereichs bietet sich die klassische Hausarbeit als Prüfungsformat an. Um auch die Bewertung der Aufgaben höherer Anforderungsbereiche zu vereinfachen, sollte bei der Konzeption des Take Home Exams notiert werden, welche und in welchem Umfang die Studierenden Hilfsmittel nutzen dürfen und wie sie diese sichtbar machen müssen.

Einzig das Anforderungsniveau „Erinnern und Verstehen“ bietet sich nicht für ein Take Home Exam an, da es grundsätzlich als open book-Format angelegt ist. Wenn die Studierenden die Prüfung zu Hause ablegen, stehen Ihnen prinzipiell alle Seminarunterlagen, Kommiliton*innen und das Internet offen. Die Studierenden könnten die Antworten zu einfachen Wissensabfragen also einfach kopieren. Bei Aufgaben der höheren Anforderungsbereiche ist dies nicht so leicht möglich.

Um die Länge der Prüfung und damit die Bearbeitungszeit zu kalkulieren, empfiehlt es sich einen detaillierten Erwartungshorizont zu erarbeiten. Dieser kommt den Dozierenden dann auch bei der Auswertung zugute. Anders als bei einer Klausur können hier neben den inhaltlichen Anforderungen auch Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens, wie die Zitation, angemessen berücksichtigt werden.

Vorbereitung

Die Vorbereitung eines Take Home Exams besteht aus universitätsspezifischen, technischen, rechtlichen und letztendlich inhaltlichen Aspekten. Zunächst sollten sich Dozierende informieren, ob ihre Universität das Take Home Exam als Prüfungsform zugelassen hat und wenn ja, ob es dafür Regelungen gibt. Dann stellt sich die Frage nach der technischen Umsetzung: Es ist wenig ratsam die Verteilung und Abgabe der Aufgaben per Mail zu koordinieren. An der Universität Münster beispielsweise werden alle Online-Prüfungen des Instituts für Politikwissenschaft auf der Plattform ExamWeb durchgeführt. Für diese gibt es wiederum einheitliche Regelungen zur Prüfungsanmeldung, ‑durchführung und ‑dokumentation, was die rechtliche Absicherung für die Prüfenden und Studierenden erleichtert. Sollte es gesonderte Prüfungsplattformen geben, sollten die Prüfenden die Studierenden darauf vorbereiten und am besten vorab der Prüfung alle Studierenden dort einen Testlauf durchführen lassen. Bei dem Testlauf können außerdem die Dokumentationsanforderungen getestet werden.

Wenn die administrativen Aspekte geklärt sind und Dozierende die Prüfung seminarspezifisch konzipiert haben, sollten sie die Modalitäten des bisher wenig bekannten Formats umfassend an die Studierenden kommunizieren. Das heißt auch, je „ungewöhnlicher“ die Konzeption der Prüfung und je abweichender vom Modus des Seminars, desto umfangreicher empfiehlt sich die Absprache mit Studierenden. Aus meiner Erfahrung sind eine genaue Ausformulierung der Anforderungen und Bewertungskriterien hilfreich, weil sie den Studierenden Unsicherheiten nehmen. Ebenso wie bei einer Klausur oder Hausarbeit sollte vor der Prüfung im Seminar Zeit gegeben werden, Fragen zum Prüfungsformat und Inhalten zu stellen. Damit vermeiden Prüfende außerdem, dass Studierende unterschiedliche Informationen erreichen.

Abschließend sollte vorher bekannt gemacht werden, an wen sich die Studierenden bei technischen und inhaltlichen Problemen während der Prüfungsdurchführung wenden können.

Durchführung

Während der Durchführung der Prüfung zahlt sich eine umfassende Prüfungsvorbereitung und klare Kommunikation mit den Studierenden aus. Im besten Fall läuft alles nach Plan und es kommen keine Fragen oder Probleme auf. Und falls doch, greifen die Sicherheitsnetze.

Die Prüfung startet mit der automatisierten Bereitstellung der Aufgabenstellung. Wenn vorher schon alle formalen Anforderungen auf der Prüfungsplattform hochgeladen waren, bietet es sich an, ein gesondertes Dokument für die Aufgabenstellung zu erstellen. Diese Informationen können aber auch alle in einem barrierefreien pdf-Dokument bereitgestellt werden.

Ebenso sollten sich die Information für den Notfallkontakt bei Problemen während der Prüfung sowie die Upload-Funktion für das Einreichen der erbrachten Leistung auf der Prüfungsplattform befinden. Auch hier bietet sich eine automatisierte Lösung an, die den Upload der Prüfung nach Ablauf der Frist blockiert.

Die Studierenden geben Ihre Ausarbeitung innerhalb des Bearbeitungszeitraumes ab und müssen dem Dokument, wie bei einer Hausarbeit, eine Eigenständigkeitserklärung beilegen.

Bewertung

Nach Ablauf der Bearbeitungszeit kann direkt mit der Korrektur der Take Home Exams begonnen werden. Dies orientiert sich an dem vorher erstellten Erwartungshorizont und Notenschlüssel. Wie bei anderen Prüfungen bietet es sich auch hier an, einen Erwartungshorizont pro Prüfungsleistung und Studierenden auszufüllen und eine individuelle Dokumentation über die Leistungsevaluation anzufertigen.

Neben der Leistungsdokumentation sollten die Prüfenden auch die Prüfungsplattform, bzw. -durchführung dokumentieren. Dies orientiert sich an den universitäts- und plattformspezifischen Vorgaben. Mit der Dokumentation der Prüfungsplattform kann für spätere Fragen belegt werden, welche Informationen den Studierenden zur Verfügung gestellt oder welche Anforderungen kommuniziert wurden.

Nach der Korrektur werden die individuellen Leistungsevaluationen sowie die Prüfungsdokumentation an das Prüfungsamt gesendet und die Prüfung ist für den Prüfenden final abgeschlossen.

Praxisbeispiele

Ich habe in meiner Lehre bereits zwei Versionen eines Take Home Exams als Prüfungsleistung zum Seminarabschluss erprobt. Einmal in Anlehnung an eine Klausur und einmal in Anlehnung an eine Hausarbeit.

Das Take Home Exam in Anlehnung an eine Klausur beinhaltete einen Block den Anforderungsbereiches 1 und 2 bei dem die Studierenden sowohl Wissen reproduzieren und angemessen mit Zitation versehen mussten. Dies bot sich an, da die Studierenden im ersten Semester waren und noch wenig Erfahrung mit Klausuren, universitären Prüfungen im Allgemeinen und wissenschaftlichen Arbeiten hatten. Ziel des Seminars und der Prüfung war es Grundlagen zu vermitteln und diese auch zu prüfen, ohne eine reine Wissensabfrage durchzuführen. Diese bietet sich, wie beschrieben, nicht für eine open book-Prüfung an. Auch der restliche Teil der Prüfung bewegte sich mit Essay-Aufgaben maximal im Anforderungsbereich 3.

Das Take Home Exam in Anlehnung an eine Hausarbeit richtete sich an Studierende eines Lektürekurses im fortgeschrittenen Studium. Es prüfte Aufgabenstellungen im Anforderungsbereich 3 und 4, aber gab den Studierenden anders als bei einer Hausarbeit bei der die Studierenden das Thema und die Fragestellung frei wählen, detaillierte Aufgabenstellungen.

Praxisbeispiel I: Take Home Exam in Anlehnung an eine Klausur

Ein Take Home Exam in Anlehnung an eine Klausur konzipierte ich für mein Seminar „Grundlagen der empirischen Parteienforschung“ im Wintersemester 2020/21 an der Universität Münster. Das Seminar war ein Einführungsseminar und richtete sich vor allem an Studierende im Grundstudium.

Das Seminar bestand aus Selbstlernphasen und Präsenzphasen zum persönlichen Austausch. In den Selbstlernphasen erarbeiteten die Studierenden die Seminarlektüre, nutzten ein Online Austauschforum zur Diskussion und fertigten Mindmaps, Essays oder eine stichpunktartige Zusammenfassung der Seminarliteratur an. Zu jeder Form der Studienleistung gab es einen Erwartungshorizont und zu den Essays auch bis zu zweimal individuellem Feedback. Durch diese Vorbereitung und Übung aus dem Seminar bot es sich an, die Essays auch mit in die Prüfung zu integrieren.

Die 24 Studierenden, die an der Prüfung teilnahmen, erhielten 48 Stunden Prüfungszeit, um die folgenden Aufgaben zu bearbeiten:

  • Im Wissensteil galt es 7 Fragen in Stichpunkten und mit Zitation versehen zu beantworten (insgesamt maximal 15 Punkte).
  • Der Essayteil bestand aus drei Themenblöcken, aus denen die Studierende zwei auswählen und bearbeiten mussten (je Essay maximal 15 Punkte). In jedem thematischen Block schrieben die Studierenden einen Essay und wählten dafür wiederum aus zwei vorformulierten Fragestellungen, bzw. kontroversen Hypothesen aus. Die Essays sollten maximal 1000 Wörter lang sein und thematisierten im Seminar bearbeitete Theorien und Fälle.
  • Die formalen Anforderungen wie Layout, Zitation und Literaturverzeichnis wurden gesondert mit bis zu maximal 5 Punkten bewertet.

Praxisbeispiel II: Take Home Exam in Anlehnung an eine Hausarbeit

Ein Take Home Exam in Anlehnung an eine Hausarbeit konzipierte ich für mein Seminar „Quantitative Texte lesen und verstehen!“ noch vor der Pandemie im Wintersemester 2019/20 an der Universität Münster. Das Seminar war ein Lektürekurs und richtete sich vor allem an Studierende in fortgeschrittenen Semestern bzw. im vertiefenden Studium.

Im Seminar erarbeiteten wir uns anhand von theoretischen und empirischen Texten die Grundlagen der Erstellung eines Forschungsdesigns. Außerdem gehörte zu der Studienleistung und Seminarinhalten die Anfertigung eines Flussdiagramms, welches einen quantitativen, empirischen Forschungsprozess abbildete. Für das Take Home Exam erhielten die Studierenden 120 Stunden bzw. 5 Tage Bearbeitungszeit und sollten ein Forschungsexposé, bzw. Forschungsdesign samt Flussdiagramm anfertigen.

Die Studierenden konnten aus zwei Themenblöcken mit vorformulierten Forschungsfragen und passender Literatur auswählen. Die Themenblöcke orientierten sich an dem im Seminar bearbeiteten empirischen Literatur. Pro Themenblock gab es eine vorformulierte Forschungsfrage, die die Studierenden so bearbeiten oder nach eigenen Wünschen abändern konnten. Ziel des Take Home Exams war, einen hypothetischen Forschungsprozess zu der genannten Forschungsfrage zu bearbeiten und methodische Herausforderungen und Limitierungen dazustellen sowie kritisch zu diskutieren.

Beispiel aus dem Themenblock „Wahlforschung“

Puzzle: Unterschiede von Wähler*innen verschiedener Parteien

Fragestellung: Welche Eigenschaften/Interessen/Positionen/Parteienidentifikation (Erkenntnisinteresse)  haben die Wähler*innen der Partei (SPD/CDU/CSU/Die Grünen/FDP/Die Linke/AfD oder Nicht-Wähler*innen) bei der Wahl (Analysezeitraum und -ort) in (Bundes-)Land (im Vergleich zu XX)?

Die Studierenden sollten dann im ersten Schritt die Fragestellung auf den Analysegegenstand, -zeitraum, und Ihr genaues Forschungsinteresse spezifizieren. Anschließend fertigten sie ein kommentiertes Flussdiagramm zu Ihrem hypothetischen Forschungsprozess an. Den größten Umfang besaß die schriftliche Ausarbeitung zum Flussdiagramm, welches Spezifikationen des Forschungsprozesses offenlegte, mögliche Herausforderungen bei der Umsetzung benannte und Lösungsansätze diskutierte.

Dazu sollten die Studierenden einen kurzen Forschungsstand auf Grundlage der von mir bereitgestellten Literatur ausarbeiten und die Konzepte ausfindig machen, die für die Bearbeitung der Forschungsfrage relevant sind ohne sie umfassend darzustellen. Vielmehr bot diese Ausarbeitung die (rudimentäre) Grundlage für den methodischen Teil des Forschungsdesigns. Anschließend sollten Sie Forschungshypothesen präsentieren und die Auswahl der von ihnen verwendeten Daten und Analysemethode rechtfertigen. Da es sich um ein Forschungsexposé handelte, sollten die zu erwartenden Ergebnisse abschließend besprochen werden. Dies meinte nicht die inhaltlichen Ergebnisse, sondern die Form, in der die Studierenden die Ergebnisse präsentieren würden und welche Implikationen (nicht) möglich sind mit der Art der gewählten Analysemethode.

Dieses sehr frei gestaltete Take Home Exam wurde von vier Studierenden geschrieben, da das Seminar nur von fünf Personen besucht wurde. Daher war auch die Vorbereitung auf diese Prüfungsform sehr intensiv. Ohne viel Austausch zu der Prüfungsform und den Anforderungen (Erwartungen der Dozierenden) wäre es sonst sicherlich schnell zu einem Missverständnis bei den Studierenden und Frustration gekommen. Da die Studierenden die Prüfungsform in Teilen außerdem im Seminar vorher erproben konnten und Feedback dazu bekamen, funktionierte das Take Home Exam sehr gut. Die Studierenden konnten sich kreativ und individuell mit methodischen Problemen auseinandersetzen und zeigten eine hohe Methodenkompetenz für quantitative, empirische Parteienforschung.

Feedback der Studierenden

Die Studierenden meldeten zurück, dass sie die Hilfestellung per Mail während der Bearbeitung angenehm empfanden. Hier kamen vor allem Fragen zur Zitation und ob bspw. Antworten in Stichpunkten ganze Sätze bedeuteten. Die Aufgabenstellung war so wie erwartet und vorher kommuniziert, insbesondere die Auswahlmöglichkeiten gefiel den Studierenden. Auch die Vereinbarkeit mit anderen Aufgaben wie Lohnarbeit oder anderen Prüfungen, die zeitlich nicht so flexibel terminiert waren, sowie die individuelle Zeiteinteilung lobten einige Studierende.

Trotz des positiven Feedbacks meldeten vereinzelt Studierende, dass sie vor allem als Erstsemester mit den Anforderungen des wissenschaftlichen Arbeitens überfordert waren und sich dadurch besonders unter Zeitdruck gesetzt gefühlt haben. Ebenso empfanden einige beim Take Home Exam, welches an eine Klausur angelehnt war, die Bearbeitungszeit als zu lang im Verhältnis zur Prüfungszeit. Sie empfohlen mir in Zukunft nur ein Essay anfertigen zu lassen. Durch das für einige Studierende schlecht aufeinander abgestimmte Verhältnis von Bearbeitungs- und Prüfungszeit konnten diese nicht ihren Care-Verpflichtungen nachkommen oder mussten in der Nacht an den Aufgaben arbeiten. Gleichzeitig lade die längere Prüfungszeit dazu ein, diese auch ganz zur Bearbeitung der Aufgaben zu nutzen und schaffe dadurch einfach eine lange Bearbeitungszeit und keine Pausen. Ebenso formulierten die Erstsemester, dass das Prüfungsformat, wenn es unbekannt ist, sehr schlecht einzuschätzen sei und daher den Stresslevel im Vergleich zu einer bekannten Klausur oder Hausarbeit erhöhe.

Meine Lehren für zukünftige Take Home Exams

Grundsätzlich erfordert die bisher bei den Studierenden noch wenig bekannte Prüfungsform viel Vorarbeit, um Unsicherheiten auszuräumen und eine faire Prüfungsvorbereitung für die Studierenden zu ermöglichen. Dies ist insbesondere für Studierende der ersten Semester herausfordernd. Sie beherrschen die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens noch nicht aus dem Effeff und haben auch für die zu prüfenden Inhalte weniger Anknüpfungspunkte. Dadurch benötigen sie zur Bearbeitung vermeintlich eindimensionaler Aufgaben mehr Zeit als Studierende, die bspw. Zitation oder Literaturrecherche bereits mehrfach erproben konnten.

Als besondere Herausforderung empfand ich die Einschätzung einer angemessenen Bearbeitungszeit auf dessen Grundlage ich die Prüfungszeit bestimmen kann. Wie beschrieben, haben die Studierenden angemerkt, dass sie die Bearbeitungszeit als zu kurz kalkuliert empfanden und dadurch die gesamte Prüfungszeit nutzen. Das möchte ich als Prüfende in Zukunft unbedingt verhindern.

Um eine realistische Einschätzung der Bearbeitungszeit zu erhalten, kann vor der Konzeption des Take Home Exams erfragt werden, wie lange die Studierenden z.B. für einen Essay oder die Anfertigung eines Flussdiagramms benötigen. Die Kalkulation der Bearbeitungszeit durch die fehlenden Erfahrungswerte bleibt jedoch die größte Herausforderung bei der Konzeption des Take Home Exams. Fehlkalkulationen fallen dann besonders ins Gewicht, wenn die Prüfungszeit nur wenig länger als die Bearbeitungszeit konzipiert wurde. Daher ist mein Tipp mit der Bearbeitungszeit großzügig zu kalkulieren. Die Prüfenden können aus Fehlkalkulationen lernen, aber es wäre ärgerlich, wenn die Studierenden in einer Prüfung, die eigentlich Zeitdruck nehmen sollte, unter starken Zeitdruck geraten. Hier muss aber wieder berücksichtigt werden, dass einige Studierende unabhängig von der Bearbeitungszeit die gesamte Prüfungszeit nutzen, um ihre Leistung zu optimieren. Da kann auch eine gute Kalkulation der Bearbeitungszeit nicht helfen. Es ist also mit dem Take Home Exam nicht möglich allen gerecht zu werden.

Jedoch, und das ist für alle Beteiligten meiner Take Home Exams eine positive Erfahrung: die Take Home Exams wurden von mir durchschnittlich besser benotet als die klassischen Klausuren und es gab im Vergleich zu den Hausarbeiten weniger Ausreißer nach unten.

Fazit

Trotz des durchaus durchwachsenen Feedbacks meiner Studierenden, denke ich, dass Take Home Exams ein großes Potenzial für den Prüfungsbetrieb in der Politikwissenschaft während und nach der Pandemie haben. Es ist nur eine Frage der Zeit bis alle Beteiligten auf Erfahrungswerte zurückgreifen können und mit den Prüfungscharakteristika vertraut sind.

Als Hybride zwischen Klausur und Hausarbeit können Take Home Exams nicht nur auf die Seminarinhalte zugeschnitten werden, sondern bieten für alle Beteiligten vielfältige Vorteile und insbesondere im Vergleich zur Klausur mehr Freiheiten. Die bessere Vereinbarkeit mit anderen Verpflichtungen, weniger Zeitdruck, die Prüfungsdurchführung zu Hause und das open book-Format sind überzeugend. Darüber hinaus, müssen sich Prüfende nicht um Hygienekonzepte und auch nach der Pandemie um die Bereitstellung einer angemessenen Prüfungsumgebung kümmern. Mir gefällt das Format der Take Home Exams besonders gut, da trotz des begrenzten Bearbeitungszeitraums eigenverantwortliches Lernen ermöglicht und Zeit zur Reflexion gibt. Es geht nicht um reine Wissensreproduktion, sondern um Aufgaben im Anforderungsbereichen 2 bis 4. Die Studierenden sollen (2) anwenden, (3) analysieren und bewerten sowie (4) erweitern und erschaffen. Damit ist das Take Home Exam ist eine willkommene Ergänzung des Prüfungsportfolios in der Politikwissenschaft, welches die Studierenden weg von verschulten Lernabfragen hin zum eigenverantwortlichen Arbeiten begleitet, ohne sie direkt mit den umfangreichen Anforderungen einer Hausarbeit zu überfordern.

Diese Flexibilität der Take Home Exams in der Durchführung und Inhalt machen sie besonders attraktiv, um passgenau zu prüfen und Prüfung den Seminarkonzepten und dem Niveau der Studierenden anzupassen. Meiner Erfahrung nach eignen sie sich dabei insbesondere für kleinere Gruppen von Studierenden bis 15 Personen. Inwiefern sich das Format auch für große Vorlesungen und als Ersatz für bspw. Eingangsklausuren eignet, kann ich nicht einschätzen. Der Korrekturaufwand der Aufgaben mit höherem Anforderungsbereich könnte hier schnell zum K.O.-Kriterium werden.

Auch wenn Take Home Exams in Zukunft sicher nicht alle Klausuren und erst recht nicht Hausarbeiten ersetzten können, möchte ich alle Prüfenden der Politikwissenschaft ermutigen sich das Format genauer anzusehen. Eventuell ist es gar nicht so schwer bestehende Klausuren in Take Home Exams umzuwandeln. Und wenn eine neue Prüfung konzipiert werden muss, warum dann nicht auch mal ein Take Home Exam?

Weiterführende Links

Informationen beispielhafter deutscher Universitäten

Wissenschaftliche Texte

Quellenangaben

Bengtsson, Lars (2019): Take-Home Exams in Higher Education: A Systematic Review. In: Education Sciences 9 (4), S. 267. DOI: 10.3390/educsci9040267.

Cleophas, Catherine; Hoennige, Christoph; Meisel, Frank; Meyer, Philipp (2021): Who’s Cheating? Mining Patterns of Collusion from Text and Events in Online Exams. In: SSRN Journal. DOI: 10.2139/ssrn.3824821.

Guangul, Fiseha M.; Suhail, Adeel H.; Khalit, Muhammad I.; Khidhir, Basim A. (2020): Challenges of remote assessment in higher education in the context of COVID-19: a case study of Middle East College. In: Educ Asse Eval Acc 32 (4), S. 1–17. DOI: 10.1007/s11092-020-09340-w.

Hochschulrektorenkonferenz (Hg.) (2015): Kompetenzorientiert prüfen. Zum Lernergebnis passende Prüfungsaufgaben (Nexus Impulse für die Praxis, 4). Online verfügbar unter www.hrk-nexus.de/impulse/kompetenzorientiertpruefen.pdf, zuletzt geprüft am 13.07.2021.

Şenel, Selma; Şenel, Hüseyin Can (2021): Use of Take-Home-Exams for Remote Assessment: A Case Study. In: Journal of Educational Technology and Online Learning. DOI: 10.31681/jetol.912965.

Universität Bremen: Take Home Exam über Stud.IP. Unter Mitarbeit von Jens Bücking. Online verfügbar unter https://www.uni-bremen.de/zmml/kompetenzbereiche/e-assessment/pruefungsformen/take-home-exam, zuletzt geprüft am 29.07.2021.

Universität Göttingen (2021): Online Prüfen. Unter Mitarbeit von Team Digitales Lernen und Lehren. Online verfügbar unter https://www.uni-goettingen.de/de/626427.html#info-2, zuletzt geprüft am 29.07.2021.

Universität Hamburg (2021): Take-Home-Exams. Die alternative digitale Prüfungsart zur Klausur in Präsenz. Unter Mitarbeit von Heiko Witt, 06.05.2021. Online verfügbar unter https://www.uni-hamburg.de/elearning/methoden/online-pruefen/take-home-exams.html, zuletzt geprüft am 12.07.2021.

Universität Paderborn (2021): Take Home Exam – kleine Ausarbeitung (24-, 48- oder 72-Stunden-Arbeit). Online verfügbar unter https://www.uni-paderborn.de/lehre/corona-lehre/digitale-pruefformate/take-home-exam, zuletzt geprüft am 29.07.2021.

Bericht von der fünften Jahrestagung: Wozu politikwissenschaftliche Hochschullehre? (Berlin, 17.-18.2.2020)

Am 17. und 18. Februar 2020 veranstaltete der AK Hochschullehre seine fünfte Jahrestagung des AK Hochschullehre. Die Tagung unter dem Titel „Wozu politikwissenschaftliche Hochschullehre?“ fand im Besuchszentrum der Stiftung Berliner Mauer statt.

 

Book Launch

Zum Tagungseinstieg wurden zwei neue Bände der AK-eigenen Buchreihe präsentiert. Wolfgang Muno (Rostock) stellte seinen Band „Planspiele und Politiksimulationen in der Hochschullehre“ vor. Er hob die Bedeutung aktivierender Lehrformate für die politikwissenschaftliche Hochschullehre heraus. Sein Band bietet eine systematische Einführung in Simulationsformate und befasst sich insbesondere mit den praktischen Herausforderungen der Vorbereitung und Durchführung von Simulationen. Er sprach sich dafür aus, Simulationen nicht als losgelöste Sonderveranstaltungen zu organisieren, sondern sie in Lehrveranstaltungen zu integrieren, um die Vor- und Nachbereitung didaktisch einzubetten. Die besten Simulationen seien aber diejenigen, in denen Lehrende selbst kaum in Aktion treten und die Studierenden selbst die Zügel in die Hand nehmen.

Als nächstes präsentierten Caroline Kärger (HAW Hamburg) und Judith Gurr (Lüneburg) ihren Band „Lernen im Dialog – aktivierende Methoden in der politikwissenschaftlichen Lehre“. Ihr Band war durch die verbreitete Erfahrung motiviert, dass in Seminaren Gespräche und Diskussionen manchmal nicht richtig in Gang kommen. Dabei sind dialogische und argumentative Kompetenzen für Studierende der Politikwissenschaft besonders wichtig, deshalb sei dies eine besonders wichtige Herausforderung. Das Buch fasst vielfältige Methoden zusammen, die Lehrende praktisch einsetzen können, um Studierende zum Dialog zu animieren. So sollen Studierende lernen, Ambiguitäten zu tolerieren und Gesprächskompetenzen zu entwickeln. Caroline Kärger und Judith Gurr hoben hervor, dass das Buch prinzipiell für alle Lehrenden im Fach hilfreich sein kann, aber auch eine gewisse Bereitschaft seitens der Lehrenden erfordert, sich auf den Dialog mit Studierenden einzulassen.

 

Panel 1: Simulationen

Zum Einstieg in die Tagung stellten Anne Goldmann, Arno von Schuckmann, Julia Schwanholz und Stefanie Delhees (Duisburg-Essen) einen im Entstehen befindlichen Aufsatz über die Nutzung von Planspielen vor. Neben einer systematischen Einführung in das Thema ist das Herzstück des Artikels die Vorstellung von zwei Planspielen, die an der NRW School of Governance regelmäßig in der Lehre eingesetzt werden. Das erste Planspiel simuliert den Gesetzgebungsprozess im nordrhein-westfälischen Landtag und wird auch physisch im Düsseldorfer Parlamentsgebäude abgehalten, um ein authentisches Setting anzubieten. Das zweite Planspiel befasst sich mit der parlamentarischen Demokratie am Beispiel des Bundestages. In der Diskussion wurden auch grundsätzliche Fragen zu Planspielen aufgeworfen, z.B. zur Bewertbarkeit von Spielleistungen sowie zu den Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Reflexionsphase.

 

Panel 2: Politische Theorie lehren – wofür und wie?

Der erste Beitrag war von Valerie Scheibenpflug (Wien) zur „Spannung zwischen Selbstzweck und Verwertbarkeit der politisch-theoretischen Lehre an Universitäten“. Sie definierte Theorie als zweckfreie Erkenntnis und wies damit zunächst die Frage nach dem Wozu einer politiktheoretischen Lehre zurück. Universitäten haben ein „philosophisches Moment“ und sollten sich Verwertungszusammenhängen entziehen, um eine kritische Distanz zur Gesellschaft einzunehmen. Außerdem verliere der/die studierende BürgerIn seine/ihre demokratische Mündigkeit, wenn die Universität schon von vornherein alle Lernziele festlege. Allerdings lädt dies Vorwürfe an die politische Theorie ein, sie sei lediglich ein intellektuelles Glasperlenspiel. Damit täte man der politischen Theorie jedoch unrecht, vielmehr sei die Theorie tief in Gesellschaft und Praxis verstrickt und sie könne und dürfe sich der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht entziehen. Dies könne man bereits an der Gründungsgeschichte der deutschen und österreichischen Politikwissenschaft sehen, die in der Nachkriegsphase ein demokratisch-emanzipatorisches und hoch politisches Projekt darstellte. Die Aufgabe der politischen Theorie sei also nicht die Belehrung, sondern darin, gesellschaftliche Erfahrungen zu reflektieren.

Im Anschluss stellte Mareike Teigeler (Lüneburg) ein Seminarkonzept aus der politischen Theorie vor. In ihrem Vortrag zum „Dilemma als Reflektions- und Debattenraum“ rückte sie das Lernziel in den Mittelpunkt, Studierenden Multiperspektivität und Entscheidungskompetenz zu vermitteln. Dazu sollen Studierende durch mehrere Kleingruppenarbeitsphasen Dilemmata in eigenen Erfahrungen herausarbeiten und in einem strukturierten Vorgehen sozial anerkannte Möglichkeiten des Umgangs damit entwickeln. Im Anschluss erfolgt eine gemeinschaftliche Reflexion der Anwendbarkeit abstrakter ethischer Prinzipien. Im Ergebnis zeigt sich, dass aber selbst durch Entscheidungen die fundamentale Unentscheidbarkeit von Dilemmata nicht dauerhaft überwunden werden kann. Dadurch lernen die Studierenden, dass es auf ein Problem unterschiedliche begründbare Antworten geben kann.

 

Roundtable: Kann man Zielerreichung in der Lehre messbar machen?

Lehre wird heutzutage ständig gemessen – in Lehrevaluationen, Akkreditierung, in Verfahren der landeseigenen Mittelverteilung. Aber (wie) kann dies sinnvoll geschehen? Zu dieser Frage diskutierten Stefan Handtke (Professor für Verwaltungsmanagement an der HTW Dresden, davor drei Jahre Geschäftsführer der Akkreditierungsagentur ACQUIN), Gero Federkeil (Leiter internationale Rankings am Centrum für Hochschulentwicklung) und Lasse Cronqvist (Trier).

Gero Federkeil stellte typische Indikatoren vor, die in Messverfahren des CHE und anderer Institutionen verwendet werden. Diese orientieren sich an zwei Maximen: Erstens sollte vor jeder Messung die Definition von Zielen stehen. Dabei zu beachten: die individuellen/internen Ziele politikwissenschaftlicher Institute stehen immer in Interaktion mit externen Vorgaben, z.B. Zielvorgaben von Hochschulleitungen oder aus der Landespolitik. Zweitens soll bei der Bewertung von Daten deren inhaltliche Validität höher gewichtet werden als deren Verfügbarkeit. Er argumentierte, dass Lehrinstitutionen in der Lehre individuelle Ziele explizit formulieren, ihre Erreichung überprüfen und die dafür erhobenen Daten kontextualisiert (z.B. Abgleich mit Zielgrößen, zeitlicher Verlauf, Vergleich mit anderen) interpretieren sollten. Dabei sollte auch auf qualitative Informationen zurückgegriffen werden, um sich nicht nur auf Kennzahlen zu verlassen.

Stefan Handtke berichtete aus seinen Erfahrungen im Akkreditierungswesen. Derartigen Verfahren liege der Gedanke von Qualitätssicherung und -entwicklung in Forschung und Lehre zugrunde, die im europäischen Hochschulraum eingeordnet und vergleichbar gemacht werden soll. Zur Umsetzung wurde ein europäischer Katalog von Standards formuliert, aber deren genaue Ausformulierung und Interpretation soll in der Autonomie der Hochschulen bleiben. Dabei blieben Zielvorgaben in Bezug auf die Lehre äußerst vage – in Akkreditierungsverfahren wird nicht mechanisch die Erreichung übergeordneter Ausbildungsziele überprüft, sondern gefragt, welche Zielsetzung ein Institut oder eine Hochschule sich selbst gibt und wie diese in Studienprogrammen umgesetzt wird. Ziele sollen sichtbar und diskutierbar sein, müssen aber nicht zwingend überprüfbar oder gar messbar sein, auch wenn es bei manchen Akteuren im Akkreditierungsrat Tendenzen in diese Richtung gibt. Viele Hochschulen wehren sich aber gegen Tendenzen eines kennzahlengestützten Bewertungssystems von Universitäten oder Studiengängen.

In der Diskussion ging es um den Spalt zwischen dem was gemessen wird und „guter Lehre“. Die vorhandenen Instrumente messen so alles mögliche, aber selbst aus einem Abschluss in Regelstudienzeit mit Bestnote kann man nicht ablesen, was Studierende tatsächlich gelernt haben. Dies können letztlich nur die Institute über ihre Prüfungen erledigen, was aber nicht gut vergleichbar ist. Es wurde außerdem thematisiert, dass die große Lehrautonomie im deutschen Wissenschaftssystem Versuche der Steuerung von Lehrleistungen oder des Qualitätsmanagements erschwert. Dies ist auch ein Grundkonflikt in der Systemakkreditierung, wenn Fakultäten diese als Eingriff in ihren autonomen Bereich verstehen. Ferner berichteten manche Teilnehmer, dass in Instituten das eigentlich intendierte Potenzial von Akkreditierungsverfahren, nämlich die strukturierte Entwicklung hochwertiger Studienangebote, durch die Zurschaustellung von Compliance verdrängt werde.

 

Mitgliederversammlung

Der SprecherInnenkreis berichtete von seinen Aktivitäten seit der letzten Mitgliederversammlung. Aufgrund des Endes der Amtszeit wurde der SprecherInnenkreis anschließend neu gewählt. Nahezu einstimmig (mit einer Enthaltung) wurden gewählt: Matthias Freise (Münster) und Lasse Cronqvist für zwei Jahre, Julia Reuschenbach und Volker Best (Bonn) für ein Jahr. Daniel Lambach (Frankfurt) schied aus dem Kreis der SprecherInnen aus.

In der Aussprache wurde der Wunsch nach fachspezifischen Qualifizierungsangeboten für Nachwuchslehrende geäußert. Eventuell ließe sich ein AK-Angebot auch in landesspezifischen Zertifikatsprogrammen anerkennen lassen. Dies könnte zeitlich an die Jahrestagung angedockt werden, um so auch die Beteiligung an den Tagungen weiter zu steigern. Außerdem sollte sich der AK stärker auf seine Jahrestagung konzentrieren und Zweitveranstaltungen nur noch in Ausnahmefällen organisieren, um seine Kräfte und seine Außenwirkung stärker zu bündeln.

 

Panel 3: Lehrkulturen und Selbstverständnisse

Christoph Weller (Augsburg) begann den zweiten Tag mit einem Vortrag zum Thema „Ziele, Mittel und Herausforderungen politischer Hochschullehre: Die ‚Augsburger Erklärung‘ im Feld der Friedens- und Konfliktforschung“. Er berichtete aus Diskussionen im AK Curriculum und Didaktik der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung, in der mit der Augsburger Erklärung ein Text mit Orientierungscharakter verabschiedet wurde, die auch die Wozu-Frage der Tagung beantworten helfen kann. Er riet zur Bearbeitung der Frage mit Studierenden und formulierte mit Aufklärung und Politisierung zwei zentrale Begriffe, um die diese Auseinandersetzung strukturiert werden kann.

Im Anschluss berichtete Carola Klöck von ihren Erfahrungen in der Hochschullehre in unterschiedlichen Ländern. Ihr Beitrag verglich die Lehrpraxis in Deutschland und Frankreich. Sie hob die Unterschiedlichkeit der institutionellen Rahmenbedingungen und Steuerungsinstrumente hervor, z.B. seien an den Sciences Po Abschlussarbeiten nicht verpflichtend und werden nur von einer Minderzahl von Studierenden geschrieben. Außerdem sei in Frankreich die Lehre tendenziell stärker auf die Vorlesung konzentriert und weniger diskursiv als in Deutschland. Ingesamt riet sie zu einer Nutzung deutsch-französischer Kooperationsangebote.

 

Panel 4: Kompetenzziele

Daniel Lambach stellte die Ergebnisse einer gemeinsam mit Carlo Diehl (Frankfurt) durchgeführten Auswertung von Lehrbüchern der Internationalen Beziehungen (IB) vor. Unter dem Titel „Selbstpräsentation und Lehrziele in IB-Einführungen – Spiegelbild einer fragmentierten Teildisziplin“ diskutierte er die Herausforderungen für Lehrende und Studierende sich den IB als einer pluralistischen (oder: fragmentierten?) Disziplin zu nähern. Die Lehrbücher dieses Bereichs bildeten diese Heterogenität ab, seien aber didaktisch oft zu unambitioniert und inhaltsorientiert. Er schloss seinen Vortrag mit einem Plädoyer dafür, dass sich IB-Lehrende selbstreflexiv mit ihrer Sicht auf die Teildisziplin auseinandersetzen müssten, um ihren Studierenden bei der Orientierung helfen zu können.

Anschließend präsentierte Johannes Schmoldt (Erfurt) einen Beitrag zum Thema „Redefähigkeit als Lernziel? Zur rhetorischen Dimension politischer Urteilsfähigkeit im Rahmen von Demokratieerziehung in der politikwissenschaftlichen Lehre“. Darin argumentierte er, dass der zentrale politische Bildungsauftrag der Politikwissenschaft in der Urteilsfähigkeit liege, womit er den Transfer zwischen Allgemeinem und Speziellem sowie die Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Standpunkten meinte. Seine zentrale These lautete, dass die Sprache das Grundelement des Sozialen und der Politik sei und dass man Urteilsfähigkeit auch mit Redefähigkeiten verbessern könne. Die Fähigkeit zur freien Rede sei somit auch ein Element einer allgemeineren Demokratiekompetenz und sollte daher didaktisch in unsere Lehre eingebunden werden.

 

Panel 5: Ausbildungsziele I: Forschungsorientierung und Lehrerbildung

Zunächst stellte Ignaz Völk die Ergebnisse einer „Netzwerkanalyse führender Ausbildungsinstitute der Politikwissenschaft in Deutschland“ vor, die er in Kooperation mit Simon Ullrich (beide Kopenhagen) durchgeführt hat. Damit möchten sie die Mechanismen der Selbstreproduktion des akademischen Feldes über die Ausbildungswege an deutschen Universitäten untersuchen. Dazu analysierten sie Lebensläufe von 126 ProfessorInnen an 11 politikwissenschaftlichen Instituten und codierten, wo diese wichtige Karriereschritte (MA/Diplom, Promotion, Habilitation) absolvierten. Dabei zeigte sich, dass ProfessorInnen teils mehrere Schritte am selben Institut absolvieren; man kann aber auch andeutungsweise „Pfade“ zwischen bestimmten sendenden und empfangenden Instituten erkennen.

Danach diskutierten Lara Möller (Wien) und Alexander Wohnig (Siegen) die Rolle der politikwissenschaftlichen Hochschullehre in der LehrerInnenbildung, wo sie einerseits fachwissenschaftliche Ausbildung, aber auch eine didaktische Handlungsfähigkeit vermitteln soll. Letztere bedarf Sinnbildungskompetenzen, die an subjektive Vorstellungen anknüpfen und diese zum Ausgangspunkt des Lernens machen. LehrerInnen werden heute mit einer Vielzahl von Anforderungen konfrontiert (z.B. Bildung für Nachhaltige Entwicklung, Extremismusprävention, Förderung von Partizipation). Dabei beobachten Möller und Wohnung eine Individualisierung und Entpolitisierung von strukturellen Problemen durch angehende LehrerInnen und in einschlägigen Lehrmaterialien. Sie schlagen eine konfliktorientierte Politikdidaktik für die Ausbildung aktiver und mündiger LehrerInnen vor.

 

Panel 6: Ausbildungsziele II: Anwendungsorientierung

Im letzten Panel der Tagung stellte ein Team von Lehrenden vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen (UDE) ihr Konzept für die Masterstudiengänge des Instituts vor. Henrik Schillinger stellte in einem einleitenden Beitrag unter dem Titel „Nur eine Marketingstrategie? Was Anwendungsorientierung in den politikwissenschaftlichen Masterstudiengängen der Universität Duisburg-Essen tatsächlich bedeutet“ verschiedene Konzeptionen von Anwendungsorientierung vor. Matthias Freise kommentierte den anwendungsnahen Duisburger Ansatz aus Münsteraner Perspektive und formulierte eine Reihe von Fragen, die von Anne Goldmann, Daniel Lambach und Toralf Stark als RepräsentantInnen der drei Duisburger Masterstudiengänge beantwortet wurden. Dabei wurde deutlich, dass für Studierende Stichworte wie Anwendungs- und Praxisorientierung bei der Masterwahl durchaus wichtig sind, auch wenn sie dies oft auf Fragen der Berufsqualifizierung verengen. Wenn sich ein Institut mit derartigen Zielen identifiziert, muss dies aber glaubwürdig und konsistent umgesetzt werden, wofür es eine Reihe von Instrumenten und Modellen gibt.

Bausteine einer politikwissenschaftlichen Hochschuldidaktik

Didaktiken gibt es viele. Da gibt es die Fachdidaktik, die sich um die Vermittlung schulbezogener didaktischer Kompetenzen an Lehramtsstudierende kümmert. Dann gibt es die Hochschuldidaktik, also die Lehre vom Lehren und Lernen an Hochschulen im allgemeinen. In unserem Feld gibt es auch noch eine Didaktik der politischen Bildung für die außer(hoch)schulischen Lernkontexte. Und dann, nicht zuletzt, gibt es noch eine fachbezogene Hochschuldidaktik.

Solche fachbezogenen Hochschuldidaktiken sind nicht das gleiche wie die allgemeine Hochschuldidaktik. Letztere kümmert sich fachungebunden um hochschulische Lehr- und Lernprozesse. Wir Lehrende „erleben“ die Hochschuldidaktik zumeist in entsprechenden Weiterbildungsprogrammen, beispielsweise beim Erwerb hochschuldidaktischer Zertifikate. Viele meiner KollegInnen beschreiben die so erlebte allgemeine Hochschuldidaktik als praxisfern und schwer anwendbar auf ihren Lehrkontext. Umgekehrt sagen viele professionelle HochschuldidaktikerInnen, dass sie gerne mehr Einblick in die fachliche Lehrpraxis hätten. Für solche Probleme haben bzw. brauchen Fächer eine fachbezogene Hochschuldidaktik, also ein Verständnis davon, wie im Kontext ihrer Disziplin Lehre und Lernen aussehen sollen.

Ich hatte unlängst Gelegenheit, mich mit Lehrenden aus anderen Disziplinen sowie der allgemeinen Hochschuldidaktik über unsere jeweiligen Fachkulturen auszutauschen. (Vielleicht wird daraus ein vergleichendes Projekt, mal sehen.) In der Vorbereitung und im Gespräch habe ich mit der Frage gerungen, was eine politikwissenschaftliche Hochschuldidaktik ausmacht. Eine Antwort habe ich noch nicht, nicht mal ansatzweise, zumal es in der Politikwissenschaft bislang keine Auseinandersetzung mit dieser Frage gibt. Ich möchte in diesem Blogpost erstmal nur die Dimensionen der Frage auffächern und ein paar Gedanken festhalten, damit ich mich beizeiten systematischer damit befassen kann.

Die Probleme fangen schon damit an, was man als Dimensionen oder Deutungen des Begriffs „fachbezogene Hochschuldidaktik“ verstehen kann. Eine erste Deutung zielt auf die Lehrpraxis: Anhand welcher Prinzipien, Philosophien und normativer Festlegungen wird in einem Fach gelehrt? (Siehe dazu den schönen PVS-Artikel von Julian Eckl.) Mit welchen Lehrmethoden werden welche Lehrinhalte gelehrt? Für die Politikwissenschaft fallen mir insbesondere die Zentralität von Begriffen wie Macht und Konflikt ein, die pluralistische Epistemologie sowie die hohe Bedeutung, welche wir diskursiven und dialogischen Kompetenzen und Lehrmethoden zuschreiben.

Eine zweite Deutung interpretiert dies als Praxisgemeinschaft. Von wem sprechen wir eigentlich, wenn wir von einer fachbezogenen Hochschuldidaktik sprechen? Sind das alle Lehrenden des Fachs? Oder enger gefasst nur diejenigen Lehrenden, die ihre Lehre didaktisch reflektieren? Zu diesem Aspekt gehört auch, die Beziehungen einer wie auch immer gearteten Praxisgemeinschaft zu anderen Gemeinschaften wie z.B. der Lehr-Lern-Forschung oder der allgemeinen Hochschuldidaktik zu klären. Hier sehe ich deutlichen Nachholbedarf in der Politikwissenschaft, ganz gleich ob man die Grenzen eng oder weit zieht. Es gibt Fächer wie die Medizin und die Rechtswissenschaften, in denen die fachbezogene Hochschuldidaktik ein ganz selbstverständlicher Teil der Disziplin ist. Davon sind wir weit entfernt. Aber man sollte in diesem Punkt die Latte nicht zu hoch legen – selbst didaktisch reflektierte Lehrende verstehen sich weiterhin eher als PolitikwissenschaftlerInnen anstatt als politikwissenschaftliche HochschuldidaktikerInnen. Letzteres geschieht wohl nur, wenn sie auch institutionell bzw. professionell den Schritt in eine praktische Tätigkeit im hochschuldidaktischen Bereich tun.

Die dritte Deutung versteht den Begriff als Feld. Welche Infrastrukturen und welche Netzwerke hat sich ein Fach gegeben, um sich systematisch über Fragen von Studium und Lehre auszutauschen? Hier fällt mir – für Deutschland – naturgemäß der AK Hochschullehre ein, über den wir bereits viel getan haben, um zur Vernetzung aktiver Lehrender beizutragen. Aber es lohnt sich auch der Seitenblick auf unsere Schwestergruppen in der ECPR, der APSA oder der PSA, die uns in dieser Hinsicht auch noch einige Jahre voraus sind.

Diese Deutungen oder Dimensionen einer fachbezogenen Hochschuldidaktik zeigen bereits, wie komplex die Antwort auf die Frage ist, ob es eine fachbezogene Hochschuldidaktik der Politikwissenschaft gibt und wenn ja, wie diese aussehen könnte. Wir ringen mit dieser Frage auf einer praktischen Ebene immer wieder bei der Herausgabe der Kleinen Reihe Hochschuldidaktik Politik, wenn wir uns bei jedem Band, sei es zur Kompetenzorientierung, zu Simulationen oder zum forschenden Lernen, fragen: Was ist das spezifisch politikwissenschaftliche im Zugang zu diesem Thema? Dass wir auf diesem Wege wie nebenbei auch erste bruchstückhafte Überlegungen zu einer fachbezogenen Hochschuldidaktik unternehmen war bisher nur ein netter Nebeneffekt, aber ich halte es für wertvoll, künftig noch systematischer darüber nachzudenken.

Call for Papers: Politikwissenschaftliche Hochschullehre – Wozu? (Fünfte Jahrestagung, Berlin, 17.-18. Februar 2020)

Der Call als pdf

Wozu betreiben wir Hochschullehre? Auf diese Frage gibt es viele mögliche Antworten, z.B. die formalistische (weil sie Teil unserer arbeitsvertraglich festgelegten Aufgabenbeschreibung ist) oder eine individuell-moralische (weil man sie für wichtig hält). Bei der fünften Jahrestagung des AK Hochschullehre wollen wir diese Frage aus systemischen, normativen und institutionellen Blickwinkeln betrachten. Anders gefragt: Was sind Ziele eines politikwissenschaftlichen Studiums und was bedeutet dies für unsere Lehre?

Wir rufen daher zu Beiträgen auf, die sich beispielsweise mit den folgenden Fragen beschäftigen:

  • Welche sind die Bildungsziele eines politikwissenschaftlichen Studiums? Hier gibt es natürlich Raum für unterschiedliche Antworten von Institut zu Institut, aber nur wenig explizite Debatten. Orientieren wir uns immer noch, oder etwa schon wieder am Ideal der „Demokratiewissenschaft“? Oder wenn es das klassisch-humanistische Bildungsideal sein soll, was ist daran spezifisch politikwissenschaftlich?
  • Im bildungspolitischen Feuilleton und in kollegialen Flurgesprächen werden Kompetenzen und Wissen gelegentlich als Gegensätze dargestellt. Wie kommen wir in der Lehre aber auch in innerfachlichen Diskursen weg von der Gegenüberstellung hin zur Komplementarität dieser beiden Ziele?
  • Im Anschluss an die von unserem AK mitgestaltete DVPW-Thementagung 2019 stellt sich die Frage, wie wir durch die Lehre im Besonderen in die Gesellschaft wirken. Wie bereiten wir (künftige und aktuelle) Praktiker*innen in Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft auf ihre Aufgaben vor? Wie befähigen wir die übrigen Studierenden dazu, aktive Staatsbürger*innen in einer zunehmend polarisierten Demokratie und einer globalisierenden Weltgesellschaft zu sein? Welche Anforderungen werden von außen an Studium und Lehre herangetragen und wie sollten wir ihnen begegnen?
  • Welche pädagogischen Vorstellungen stehen hinter unserer Lehre? Die politikwissenschaftliche Hochschullehre geschieht meistens ohne besondere lerntheoretische oder lernpsychologische Fundierung. Hier gibt es großen Spielraum und Bedarf, bildungswissenschaftliche und pädagogische Theorien für unsere Disziplin zu übersetzen und zu operationalisieren.
  • In Akkreditierungsverfahren werden Studiengänge regelmäßig als forschungs- oder praxisorientiert kategorisiert, aber wie drücken sich diese Einordnungen in Studium und Lehre aus? Sofern man mit dieser Dichotomie einverstanden ist, welche Bedeutung hat sie für die Formulierung von passenden Lernziele und die Gestaltung entsprechender Curricula? Nicht zuletzt geht es auch darum, ob wir diese selbst gesteckten Ziele erreichen. Welche Metriken benutzen wir dafür und durch welche Prozeduren fließt dies als Feedback in die Weiterentwicklung des Studienganges ein? Unter diesem Stichpunkt können auch Absolvent*innenstudien, die Erforschung einschlägiger Praxisfelder oder Verfahren des Qualitätsmanagements diskutiert werden.
  • Welche Stellung hat die Lehre an der Hochschule? Die relative Geringschätzung der Lehre im Vergleich zur Forschung, welche mit dem Begriff der „Reputationsasymmetrie“ beschrieben wird, ist allgemein bekannt. Aber welche Rolle – jenseits von Fensterreden – hat sie in der heutigen Mission der Hochschulen? Und wie differenziert sich dies nach Hochschulformen und/oder im Vergleich zur Politischen Bildung?
  • Die oben genannten Fragen spielen sich alle in größerer Flughöhe ab, aber was bedeuten sie für die Lehre im Kleinen, also auf der Ebene von Modulen und einzelnen Lehrveranstaltungen? Dies kann man normativ (Was sollten die Ziele sein?) oder praktisch beantworten (Wie trage ich zur Verfolgung der Ziele bei?). Dies umfasst auch die häufige Herausforderung, wie ich als Lehrende/r mit teils unklar formulierten Vorgaben in Prüfungsordnungen und Modulhandbüchern umgehe. Denkbar sind auch Beiträge aus institutioneller Perspektive, wie es z.B. ein Institut schaffen kann, seine Lehrenden auf gemeinsame Linien oder Ziele zu verpflichten, ohne in die Freiheit der Lehre einzugreifen.

Wie immer beschäftigen wir uns auch 2020 mit Lehrkonzepten und Erfahrungsberichten aus Lehrveranstaltungen unterschiedlicher Formate. Im Praxisforum möchten wir wieder die Gelegenheit geben, Lehr-Lernformate aus der Hochschullehre zu präsentieren, aber auch Ideen für solche Formate zur Diskussion zu stellen. Dabei geht es uns nicht nur um Lehrinnovationen, sondern auch um neue Perspektiven auf bewährte Themen, Formate und Probleme.

 

Einreichung von Beiträgen

Interessierte senden bis einschließlich 15.11.2019 einen Abstract (max. 500 Wörter) an lambach@normativeorders.net. Bitte geben Sie an, in welchem Format (Vortrag, Diskussion, Workshop, Roundtable, Poster o.ä.) Sie Ihren Teil im Rahmen der Tagung gestalten möchten und fügen Sie einige biografische Angaben (max. 200 Wörter) bei.

Nach Auswahl der Beiträge werden wir Sie bis zum 2.12.2019 über das finale Programm und den genauen Tagungsort informieren. Der Arbeitskreis ist leider nicht in der Lage, Reise- oder Übernachtungskosten zu übernehmen.

„Hochschullehre in der Politischen Theorie und Ideengeschichte – Selbstverständnisse, Praxis, Perspektiven“ – ein Workshopbericht

Dies ist ein Gastbeitrag von Andreas Busen, Dannica Fleuß und Alexander Weiß.

 

Am 10. und 11. Mai 2019 fand an der Universität Hamburg der Workshop „Hochschullehre in der Politischen Theorie und Ideengeschichte – Selbstverständnisse, Praxis, Perspektiven“ statt. Der Workshop mit ca. 20 Teilnehmern wurde von Andreas Busen (Universität Hamburg), Dannica Fleuß (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) und Alexander Weiß (Leuphana-Universität Lüneburg) mit Unterstützung des Arbeitskreises Hochschullehre der DVPW organisiert. An zwei Tagen diskutierten die Teilnehmer auf Basis von Impulsvorträgen der Teilnehmenden und eines hochschulöffentlichen Roundtables Fragen nach spezifischen Zielsetzungen und Herausforderungen politikwissenschaftlicher Lehre in der Theorie und Ideengeschichte sowie Anwendungsbeispiele aus der Lehrpraxis.

Im Anschluss an eine Begrüßung seitens des Organisationsteams setzte sich das erste Panel mit Selbstverständnissen der Politischen Theorie als politikwissenschaftlicher Sub-Disziplin, den entsprechenden Selbstverständnissen Theorielehrender sowie Zielsetzungen der Hochschullehre Politischer Theorie auseinander. Den Auftakt machten Frederik Metje und Simon Rettenmeier (beide: Universität Kassel), die in ihrem Vortrag „Über die Schizophrenie des Lehrens in der Politischen Theorie“ drei Fragekomplexe aufzeigten, die eine reflektierte Theorielehre adressieren müsse: Soll Theorielehre das Bildungsziel verfolgen, kanonisches „ideengeschichtliches“ Wissen zu vermitteln oder Studierende in Anbetracht dynamischer gesellschaftlicher Entwicklungen verstärkt auf gesellschaftliche und theorieinterne Kontroversen vorbereiten? Sollen die jeweiligen Ziele vor allem mit lehrenden- oder lernendenzentrierten Methoden erreicht werden? Und wie „neutral“ bzw. politisch engagiert kann und soll Theorielehre dabei sein?

Die Implikationen von Digitalisierung für die Beantwortung dieser Fragen diskutierte Gary S. Schaal (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg). Schaal plädierte in seinen Ausführungen zum Thema „Lehre in der Politischen Theorie unter veränderten Kontextbedingungen: Gesellschaftliche Digitalisierung und digitale Medien“ dafür, dass Digitalisierung zu tiefgreifenden Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen führt und damit auch eine grundsätzliche Anpassung des politiktheoretischen Curriculums erfordert. Zudem thematisierte der Vortrag die digitalisierungsinduzierten Chancen und Herausforderungen für didaktische Strategien der Lehrenden.

Für den Bereich der ideengeschichtlichen Lehre haben Rieke Trimcev und Lisa Klingsporn (beide Universität Greifswald) unter dem Titel „Politische Ideologien lehren – Ideengeschichte mit Praxisbezug in der Studieneingangsphase“ an gemeinsame Seminarerfahrungen angeschlossen. Sie schlagen (in Anlehnung an den Ansatz von Michael Freeden) ein Seminarformat vor,  das ‚politische Ideologien‘ thematisiert und ein Format aus der politischen Didaktik als Gedankenexperiment für die Didaktik in der Ideengeschichte übernimmt: In einer ‚Dorfgründung‘ haben Studierende zunächst Gründungssituationen politischer Gemeinschaften simuliert und anschließend auf spielerische Weise politiktheoretisch reflektiert: Was würde bspw. Edmund Burke vorschlagen, wenn er in das Dorf käme?

Den Abschluss des ersten Tages bildete die von Andreas Busen moderierte hochschulöffentliche Podiumsdiskussion zum Thema „Herausforderungen und Perspektiven der Lehre Politischer Theorie und Ideengeschichte“ mit Svenja Ahlhaus, Olaf Asbach (beide Universität Hamburg), Gary S. Schaal und Frieder Vogelmann (Goethe-Universität Frankfurt a.M.). Der Schwerpunkt der kontroversen Debatte lag auf dem Selbst- und Aufgabenverständnis politischer Theorie sowie den didaktischen Positionen, die sich aus den jeweiligen Verständnissen ergeben.

Am zweiten Tag wurden im Panel „Praxisberichte und Lehr-Lern-Konzepte“ anhand von erfolgreich durchgeführten Seminaren didaktische Konzepte vorgestellt und diskutiert. Anne Cornelia Kenneweg (Agentur für Lehrkultur, Leipzig) kommentierte die vorgestellten Lehr-Lernkonzepte aus hochschuldidaktischer Perspektive.

Christian Welniak (Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik) und Alexander Weiß (Leuphana Universität Lüneburg) haben mit ihrem Beitrag „Demokratietheorie und Demokratiepädagogik“ die inhaltliche Verzahnung von Demokratietheorie und Erziehungswissenschaft zum Strukturprinzip eines Seminars in der LehrerInnenausbildung gemacht. Demokratietheoretische Positionen wurden dabei jeweils auf ihre explizite oder implizite Erziehungsdimension untersucht und demokratiepädagogische Formate auf ihren Demokratiebegriff abgefragt.

Mit „Politische Theorie und Film – Reflexion einer Lehrveranstaltung“ präsentierten Michael Haus und Esther Lehnardt (beide Universität Heidelberg) ein Seminarformat, das Spielfilme als didaktisches Mittel und als politiktheoretischen Reflexionsgegenstand integrierte. Anhand exemplarischer Filme und politischer Theorien illustrierten die Vortragenden, wie Filme in diesem Seminar einerseits der Vermittlung politiktheoretischer Topoi dienten, andererseits selbst als Objekte politiktheoretischer Interpretation und Analyse fungierten.

Dannica Fleuß nahm mit „Normative politische Theorie in Deutschland und Tansania lehren“ eine interkulturell vergleichende Perspektive auf didaktische Herausforderungen und Formate der Lehre Politischer Theorie ein. Im Zentrum stand dabei die Reflexion von Lehrveranstaltungen im Rahmen eines Co-Teaching Projekts an der University of Dar es Salaam, in denen sie Fragen der Geschlechtergleichheit und Religionskritik in verschiedenen Lehr-Lern-Settings adressierte.

In der Abschlussdiskussion wurde angesichts der Eindrücke des zweitägigen Workshops von den TeilnehmerInnen einstimmig ein Bedarf an einer weitergehenden Diskussion der verhandelten Themen konstatiert und ein klares Interesse an einer Fortführung des Austauschs bzw. der Kooperation bekundet.

Leseproben aus der Kleinen Reihe Hochschuldidaktik Politik

Wir freuen uns, für alle vier bisher erschienen Bände der Kleinen Reihe Hochschuldidaktik Politik Leseproben veröffentlichen zu können. Wenn Sie also wissen möchten, was Petra Stykow mit „Lehrenlernenprüfenlernenlehren“ meint, dann schauen Sie dort einmal herein. Die Leseproben finden Sie auf der Seite unserer Buchreihe und hier:

Matthias Freise (2018): Forschendes Lernen in der politikwissenschaftlichen Hochschullehre: Leseprobe

Petra Stykow (2018): Prüfen in politikwissenschaftlichen Studiengängen: Leseprobe

Markus Gloe (2018): Kompetenzorientierung in der politikwissenschaftlichen Hochschullehre: Leseprobe

Lasse Cronqvist (2018): Wissenschaftliches Schreiben in der politikwissenschaftlichen Hochschullehre: Leseprobe

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