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Lehre in der Krise: von Null auf Hundert, von Präsenz auf digital

Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Oliver Schwarz (Universität Duisburg-Essen). Der Beitrag entstand im Rahmen der Qualitätskonferenz zum Thema „Lehre in der Krise – Umgang mit Ungleichheiten und Effizienz“ am 24. Juni 2020 an der dortigen Fakultät für Gesellschaftswissenschaften.

 

Für mich persönlich begann das Corona-Semester passenderweise im März 2020 an einem Freitag, den 13. Eigentlich war ich für ein abendliches Kamingespräch zum Thema „Europa und soziale Demokratie“ eingeladen. Das Seminar wurde am frühen Morgen abgesagt. Wenig später erreichte mich die Absage einer zweitägigen Fortbildung, die ich in der nachfolgenden Woche absolvieren wollte. In ganz Deutschland und weltweit überschlugen sich die Ereignisse. Der öffentliche Diskurs kannte nur noch ein Wort: Corona. Bestand ursprünglich noch die Hoffnung, im Verlauf des Semesters möglicherweise wieder zu einer Art von Normalität zurückkehren zu können, so wurde in der Zwischenzeit sehr schnell klar: keine Chance.

Angesichts des gebotenen Verbots der Präsenzlehre machte ich mich für meine Lehrveranstaltungen im Sommersemester daran, die gängigen Videokonferenzdienste auf dem Markt zu testen. Meine ersten Versuche über den Konferenzdienst im Deutschen Forschungsnetz (Dienst DFNconf) waren leider katastrophal. Das Bild hing, der Ton versackte. Ich musste die Sitzung abbrechen. Schnell schwenkte ich daher in der Lehre auf das frisch von meiner Universität angebotene BigBlueButton um. Später kam noch Zoom hinzu. Der US-amerikanische Videokonferenzdienst wurde insbesondere bei dienstlichen Terminen genutzt. Meine wöchentlichen Sprechstunden begann ich über Skype abzuhalten. Während ich mich bei Moodle bereits wie zuhause fühlte, stellte mich das Produzieren und die Bereitstellung von digitalen Lehrmaterialien vor neue Herausforderungen. Doch dazu später mehr.

Das digitale Sommersemester ist noch nicht ganz vorbei und doch geht der Blick schon wieder nach vorne. Wie geht es weiter im Wintersemester? Was passiert mit all den neuen digitalen Elementen in Studium und Lehre? Basierend auf meinen persönlichen Erfahrungen in den vergangenen Wochen hierzu ein paar Überlegungen.

Zunächst ist es angebracht, uns allen selbst einmal anerkennend auf die Schulter zu klopfen. In diesem Semester gab es nicht viel Zeit zum Nachdenken. Wir mussten einfach loslegen, parallel zur kompletten Umstrukturierung auch unseres Privatlebens. Das war anstrengend und Kräfte zehrend, aber vielleicht eben auch ein Vorteil und rückblickend irgendwie auch sehr erfolgreich. Ich jedenfalls bin nach wie vor sehr positiv angetan davon, wie professionell unser Krisenmanagement war und wie schnell sich alle, sowohl Studierende als auch Lehrende und Hochschulverwaltung, in das „neue Normal“ eingefügt haben.

Für mich persönlich wurde Corona zum Sprungbrett in die digitale Lehre. Ich bin nun seit 16 Jahren in der politikwissenschaftlichen Hochschullehre aktiv und von einigen digitalen Ausflügen abgesehen, stand bei mir immer die klassische Präsenzlehre im Vordergrund. Der direkte Austausch mit meinen Studierenden, aber auch mit meinen Kolleginnen und Kollegen war mir wichtig und ist es immer noch. Doch nun organisiere ich diesen Austausch eben per Videokonferenzdienst, erstelle ich für meine Lehrveranstaltungen nahezu täglich ein oder gleich mehrere Lehrvideos und mein Büro sieht mehr und mehr aus wie ein Aufnahmestudio.

Und damit sind wir bei einem Punkt: dem Finanziellen. Um meine Lehre in diesem Semester vernünftig durchführen zu können, war eine Reihe technischer Anschaffungen notwendig: Headset, Mikrofon, Digitalkamera, Stativ usw. Ich konnte mir all diese Dinge dankenswerterweise durch ein von mir koordiniertes, lehrbezogenes Drittmittelprojekt leisten. Das ist aber sicherlich nicht bei jedem der Fall. Unabhängig von den richtigerweise vielerorts eingerichteten Notfallfonds wäre es daher wünschenswert, dass für dieses zusätzlich notwendige Arbeitsmaterial grundsätzlich auch finanzielle Mittel von Seiten der Universität möglichst niedrigschwellig zur Verfügung stünden.

Doch die Umstellung durch das digitale Semester ist ja nicht nur rein technischer Natur, es geht auch um digitale Soft Skills wie zum Beispiel die Frage nach der Aktivierung der Studierenden. Ich selbst habe in diesem Semester den Weg der asynchronen Lehrorganisation beschritten. Sowohl die studentischen Referate als auch mein Input werden hierbei jeweils im Videoformat über Moodle geteilt. Selten habe ich im Übrigen so fokussierte und qualitative hochwertige Beiträge von Studierenden erlebt wie in diesem Semester. Gleichzeitig musste ich bei einigen meiner Kurse jedoch feststellen, dass Zusatzangebote nur in sehr begrenzten Umfang genutzt worden sind oder dass ein Austausch im Forum so gut wie überhaupt nicht zustande kam. War bei mir in diesem Semester also vor allem das Medienzentrum meiner Hochschule gefragt, so wünsche ich mir in mittelbarer Zukunft vor allem eine stärkere didaktische Begleitung meiner Lehre in Sachen Lernen auf Distanz.

Darüber hinaus hoffe ich, dass der Lehre zukünftig insgesamt ein höherer Stellenwert eingeräumt wird – unabhängig davon, ob sie nun klassisch in Präsenzform oder eben digital durchgeführt wird. Bei uns am Institut gibt es beispielsweise eine Auszeichnung für die beste Fachpublikation eines Young Scholars. Warum haben wir nichts Entsprechendes für die Lehre, keine Auszeichnung für die Dozentin oder den Dozenten des Semesters? Ja, wir haben lehrbezogene Auszeichnungen auf Universitätsebene. Aber Hand aufs Herz: Zählt man nicht zu den MINT-Fächern, ist es sehr unwahrscheinlich, hier zu den Glücklichen zu gehören.

Kurzum: Alles super im digitalen Semester aus Dozierendensicht? Nicht ganz. Ich persönlich kann aktuell noch überhaupt nicht einschätzen, wie gut ich meine Studierenden in diesem Semester tatsächlich erreicht habe, wie konsequent sie in dieser permanenten Ausnahmesituation ihrem Studium nachgehen konnten und wie erfolgreich ich letztlich bei der Vermittlung von Kompetenzen gewesen bin. Selten zuvor waren mir die Ergebnisse meiner studentischen Lehrveranstaltungsbewertungen daher so wichtig wie in diesem Semester. Auch auf die noch ausstehenden Prüfungsleistungen meiner Studierenden warte ich mit Hochspannung. Durch das plötzliche Umstellen von Null auf Hundert, von Präsenz auf digital habe ich in diesem Sommer deutlich mehr in meine Lehre investiert als unter Normalbedingungen. Es wäre schön, wenn sich diese Investition am Ende des Semesters auch auszahlen würde.

Was ich mir darüber hinaus, also neben einer didaktischen Begleitung, einer finanziellen Unterstützung sowie einer institutionellen Anerkennung der Lehre, wünsche, ist Flexibilität. Niemand weiß, wie sich diese Corona-Pandemie entwickeln wird. Uns Lehrenden sollte daher die in diesem Semester eingeräumte Freiheit auch weiterhin zugestanden werden. Das betrifft nicht nur die Ausgestaltung unserer Lehrtätigkeit, sondern allgemein die Ausgestaltung unserer Arbeitszeit an der Hochschule. Ob nun persönlich vor Ort oder digital präsent, das sollte eigentlich überhaupt kein Gegensatz sein. Das sollte sich einander ergänzen. Wenn wir das verinnerlichen könnten, dann wären wir in der Post-Corona-Zeit nicht nur wieder da, wo wir im Wintersemester 2019/20 einmal waren, sondern meiner Ansicht nach wirklich einen Riesenschritt weiter.

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